Angkor – steingewordener Glaube

…is there only sorrow in Cambodia? Is there no tomorrow in Cambodia?

Manchmal sind es die Lieder aus meiner Jugend, die mir nicht aus dem Kopf gehen. Joan Baez, die große Vorkämpferin der Bürgerrechtsbewegung aus der Zeit der Antikriegsdemonstrationen gegen den Vietnamkrieg, hat dieses Lied einst gesungen. Mit dieser Musik, den Killing Fields, den Roten Khmer und dem wahnsinnigen Verbrecher Pol Pot verbindet sich meine erste Wahrnehmung von Kambodscha.

Kambodscha war von jeher ein heiß umkämpftes Land. Seit sich Khmer und Cham in 4. Jahhundert v. Chr. am Unterlauf des Mekong ansiedelten kam es immer wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen. In der Frühzeit mit den Thai, während der Kolonialzeit im ersten Indochinakrieg mit Frankreich, während des 2. Weltkrieges folgte die japanische Besatzung und in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts geriet Kambodscha zwischen die Fronten der Vietminh und Amerikaner.

Doch ich greife vor. Wir schreiben das Jahr 889, und Angkor wird Hauptstadt des Khmer-Reiches. Über mehr als drei Jahrhunderte bauten die Khmerkönige ihre Macht aus. Ihr Einflußbereich erstreckt sich von der Straße von Malakka bis zum Isthmus von Kra und sie beherrschten weite Teile von Laos und Vietnam. Dies ist das goldene Zeitalter von Angkor, das Reich erlebt seine Blüte und in diese Zeit fällt auch die Errichtung des großen Tempelkomplexes von Angkor Wat. Mit etwa einer Million Einwohner war Angkor um das Jahr 1200 wohl die damals größte Stadt der Welt.

…von nun an ging’s bergab

Auf jede Hausse folgt in der Sprache der Börsianer eine Baisse, oder wie Hilde Knef das schöner ausgedrückt hat: „von nun an ging’s bergab“. Das Reich der Khmer bröckelte unter dem Ansturm der Thai- und Shan-Armeen auseinander.

Nachdem Frankreich Ende des 19.Jahrhunderts den Süden Vietnams annektiert hatte, wurde Kambodscha französisches Protektorat und verschmolz mit Laos und Vietnam zur Indochinesischen Union. Den zweiten Weltkrieg überlebte Kambodscha nahezu unbeschadet. Das mit dem nationalsozialistischen Deutschland kollaborierende Vichy-Regime hatte dem japanischen Kaiserreich vertraglich das Recht eingeräumt Truppen in Indochina zu stationieren.

Den Versuch Kambodschas bereits im 1945 die Unabhängigkeit zu erlangen, unterdrückten die zurückgekehrten Franzosen mit harter Hand. Fast ein Jahrzehnt, lieferten sich die Widerstandskämpfer der freien Khmer und der vietnamesischen Vietminh einen erbitterten Guerillakrieg mit der alten Kolonialmacht, bevor diese 1954 auf der Genfer Indochina-Konferenz die Unabhängigkeit Kambodschas anerkennen musste.

…und kein Ende in Sicht

Prinz Sihanouk der zugunsten seines Vaters abgedankt hatte, versuchte das Land aus dem sich aufbauenden Spannungsfeld der zwischen den USA und der UdSSR aufkeimenden Stellvertreterkriege herauszuhalten und setzte auf Neutralität. Da die Vietminh ihren Nachschub auf dem Ho-Chi-Minh-Pfad weite Strecken über kambodschanisches Gebiet nach Süden heranführten, geriet das Land jedoch schnell in den Strudel des Vietnamkrieges. Zwischen Oktober 1965 und August 1973 warfen amerikanische B 52-Bomber insgesamt 2.756.941 Tonnen und alleine 1973 doppelt soviele Bomben über Kambodscha ab wie über Japan während des gesamten Zweiten Weltkrieges.

Das Leid der Bevölkerung war unermesslich. Prinz Sihanouk wurde der Schlingerkurs der Neutralität zum Vorhängnis. Mit amerikanischer Hilfe stürzten kambodschanische Offiziere unter General Lon Nol die Regierung und Sihanouk floh nach Peking. Seine Kungelei mit Mao führte zum Erstarken der Roten Khmer, die aus der Kommunistischen Partei Kambodschas hervorgegangen waren und in Sihanouks Nationaler Einheitsfront mehr und mehr die Oberhand gewannen. Nachdem die Roten Khmer mit ihren Guerillaaktivitäten die Regierung Lon Nol zu Fall brachten und Phnom Penh erobert hatten wurde Sihanouk zwar Staatsoberhaupt war aber nicht mehr als der „nützliche Idiot“ der dem Massenmörder Pol Pot die Steigbügel hielt.

Pol Pot kehrt das Unterste zu oberst. Nach chinesischen Vorbild schwebte ihm als Ideal einer uniformen, egalitären Gesellschaft vor. Mit seinem rigorosen „Steinzeit-Kommunismus“ führte er Kambodscha an den Abgrund. Pnohm Penh, auch damals schon Millionenstadt, wurde innerhalb eines Tages entvölkert. Man zwang die Stadtbevölkerung auf die Reisfelder. Krankheiten und Hunger rafften weite Teile der Bevölkerung dahin. Die Herrschaft Pol Pots der sich gerne als   „Genosse Nummer 1“   ansprechen ließ forderte mehr als 1,5 Millionen Opfer. Intellektuelle, Mönche, „Unproduktive“ wurden in den Vernichtungslagern der Roten Khmer gefoltert und hingerichtet. Oft reichte es bereits aus das jemand lesen konnte oder eine Fremdsprache beherrschte um in die Mühlen des Terrorregimes zu geraten. Als der Terror auch in die Grenzgebiete zu Vietnam schwappte, beendete eine Offensive der vietnamesischen Streitkräfte die Gewaltherrschaft Pol Pot’s . Das Eingreifen Vietnams war kein Freundschaftsdienst eines „sozialistischen Bruderlandes“. Mehr als ein Jahrzehnt blieben vietnamesische Truppen auf kambodschanischem Boden. Auch heute noch ist vor allem der wirtschaftliche Einfluß Vietnams groß. In vielen Unternehmen steckt vietnamesisches Kapital. Kambodschanischen Arbeitern werden zumeist nur Hungerlöhne gezahlt. Die Kommunisten in Hanoi haben die Spielregeln des kapitalistischen Ausbeutungssystems schnell gelernt und die kambodschanische Regierung ist dabei willfähriger Handlanger. Im Dezember 2013, nur wenige Tage nach meiner Reise kam es zu blutigen Aufständen der Textilarbeiter. Während ich diese Zeilen schreibe, denke ich an eine Textzeile aus einem Protestsong der 70er …das sich die Furcht in Widerstand, verwandeln wird; – Trotz alledem ! …Paßt !

…befiehl du deine Wege, und was dein Herze kränkt, der allertreusten Pflege des, der den Himmel lenkt.

Was hat das Kirchenlied von Paul Gerhardt aus dem 17. Jahrhundert mit Angkor zu tun. Auf den ersten Blick nichts, aber ich wollte meinen „musikalischen“ Kapiteleinleitungen treu bleiben und buddhistisches Liedgut, falls es ein solches gibt, klänge doch etwas fremd für unsere Ohren. Auf den zweiten Blick scheint mir der Text des frommen Lyrikers Gerhardt aber gut zur positiven, in sich ruhenden Gelassenheit zu passen, welche die meisten Buddhisten ausstrahlen. Auch mit Angkor scheint mir dieser einfache Satz viel gemein zu haben. Angkor war zu keiner Zeit „nur“ Regierungssitz der Khmer-Könige. Es war immer auch religiöses Zentrum. Ein Fels des Glaubens im Meer der Zeit. Jene die das Herz der Kambodschaner kränkten, konnten es dennoch nicht brechen, denn der Glaube der Menschen ist stärker. Am einfachsten kann man dies wohl an einem Wort Buddhas festmachen:

„Niemals in der Welt hört Haß durch Haß auf. Haß hört durch Liebe auf“.

…Kritiker mögen einwenden, das hier nichts über die Schönheit der Tempel und Paläste zu lesen ist, von denen es neben Angkor Wat in der Region rund um Siem Reap so viele gibt. Das ist richtig ! Architektonische Schönheit mit Worten zu beschreiben halte ich für müßig. Schließlich ist diese Reisebeschreibung zu aller erst eine Reise in Bildern.