… abhängig von Grønlandsfly und vom lieben Gott
Arm ist das Land, das wir den Eskimo raubten, nackt und entlegen wie kein anderes von Menschen bewohntes Land – und doch so schön ! Wer es sah, dem bleibt die Erinnerung daran teuer ! Ich weiß nicht ob es anderen ebenso geht, aber für mich verschmilzt es mit der träumerischen Schönheit des Märchenlandes meiner Kinderjahre, und ich habe unsere Natur in noch größerer und reinerer Gestalt wiedergefunden. Die starke, wilde Natur, gleicht einer in Eis und Stein gehauenen Vorzeitsaga, die bisweilen so feine, weiche Stimmungsbilder enthält wie ein Gedicht.
Fridtjof Nansen (Auf Schneeschuhen durch Grönland)
So sah Fridtjof Nansen Grönland, und das muss ich im Kopf gehabt haben, als wir diese Reise 1993, in leicht alkoholvernebeltem Zustand, in einer Kneipe, im neuseeländischen Queenstown planten. Jetzt, zu Ostern 1994 ist es soweit. Kurz vor unserem Start, müssen wir noch einige diplomatische Verwicklungen überstehen. Zwischenstopp für die letzte Etappe nach Qaanaaq, ist die US-Airbase in Thule, und das Pentagon verweigert uns die Einreise. Erst nach Intervention durch das dänische Außenministerium, erhalten wir grünes Licht.
Via Kopenhagen und Zwischenlandung in Kangerlussuaq, erreichen wir an Bord einer SAS-Maschine, Thule-Airbase. Die Luftwaffenbasis wurde 1951 während des Korea-Krieges, von den Amerikanern in der Operation Blue-Jay, in nur wenigen Wochen, aus dem Permafrost-Boden gestampft. Baracken und Einrichtungen für rund 20.000 Soldaten, stehen hier im ewigen Eis. Die Ur-Einwohner, die Inuit, hatte zuvor niemand gefragt, und sie wurden kurzerhand aus Thule „vertrieben“ und ins 180 km nördliche Qaanaaq verpflanzt.
Thule, wie das schon klingt. Ich erinnere mich an Sir Walter Scotts Erzählung „Prinz Eisenherz“ …..“es war dereinst ein König in Thule“. Mit unserem Thule hat diese Erzählung freilich nichts zu tun, denn Thule, so nannte der griechische Seefahrer Pytheas, im Jahre 324 v. Chr., den nördlichsten Punkt, den er auf seinen Reisen erreicht hatte und der liegt im heutigen Island. Grönland war zu diesem Zeitpunkt noch unentdeckt. Erst im Jahre 980 waren der Wikinger Erik der Rote, seine Frau Thjodhild und deren Sohn Leif Eriksen die ersten Europäer, die Grönland erreichten. In ihrer Heimat Island herrschte ein akuter Mangel an Weideland. So waren sie nach Norden gezogen. Als Berichte vom „grünen Land“ nach Süden drangen, machten sich auch andere Nordmänner auf, nach dem sagenhaften Grünland. Aber selbst in der Blütezeit siedelten nie mehr als 6000 Wikinger im Süden Grönlands. Soweit die Geschichte.
Wir stehen in einem kalten Hangar auf Thule-Airbase und warten darauf, dass uns ein Helikopter nach Qaanaaq bringt. 7 Passagiere fasst die Bell UHD 21 der GrØnlandsfly. Wir überfliegen eine erstarrte Landschaft. Als wir in Qaanaaq einschweben und unter uns die Kinder sehen, die bei – 25° C auf dem Eis Fußball spielen, frage ich mich, auf was ich mich hier eingelassen habe ?
Am Heliport werden wir von Hans Jensen willkommen geheißen. Hans ist der ungekrönte König von Thule; alle wichtigen Einrichtungen, das Gästehaus, der Polargrill und die Videothek gehören Hans. Mit unserem ganzen Gepäck ziehen wir durch den Ort, und sind sofort Tagesgespräch. Qaanaaq hat 550 Einwohner und auf jeden kommen 4 Schlittenhunde. So ist die erste Nacht eher unruhig, denn wenn ein Hund zu heulen beginnt, scheinen sich die restlichen 2000 anzuschließen.
Der erste Gang, am folgenden Morgen, führt uns zur Gemeindeverwaltung. Hier gibt es Bezugsmarken für Alkohol. Für uns ist das nur ein Spaß. Wir müssten hier weder das Bier noch den teueren Schnaps kaufen. Wir folgen einem Ritual, welches von Reisenden offensichtlich erwartet wird. Allerdings erwarten uns draußen vor dem Rathaus, in der Kälte schon Inuit, die uns die „Märkchen“ abhandeln wollen. Nach diesem „offiziellen Akt“ schlendere ich durch den Ort. Qaanaaq ist der Hauptort der Region. Die hier siedelnden Inuit leben von der Jagd und haben sich viele ihrer alten Traditionen erhalten. Aus den Schornsteinen, der in gelb, rot, grün und blau, gestrichenen Holzhäuser, quillt weißer Rauch. Vor vielen Türen stehen neben den traditionellen Hundeschlitten auch schon moderne Skidoos.
Auf einer Anhöhe steht die kleine Kirche des Ortes. Das Altarbild wurde von dem bekannten dänischen Maler Sigurd Skov gestaltet und zeigt Maria mit dem Christuskind auf dem Schoß. Als das Bild aufgehängt wurde, bemängelten die Inuit sofort die bloßen Füße des Jesus-Kindes ! So etwas geht in der Arktis nicht, also hat man die nackten Füße mit warmen Kamiken übermalt.
Am Ortsrand, sind zahlreiche Fischerboote auf Grund gezogen. Sie werden im kurzen Sommer, wenn das Eis aufbricht und die See schiffbar ist, genutzt. In diesen wenigen Wochen werden auch die Vorräte, Treibstoff, Heizöl, Baumaterial, Lebensmittel per Schiff aus Dänemark angeliefert. Wer nicht rechtzeitig bestellt hat, oder wessen Bestellung nicht dabei ist, muss sich weitere 12 Monate gedulden.
Am Ufer stehen Holzgerüste, auf denen Hundefutter gelagert wird; steifgefrorenes Robben- und Walrossfleisch, sind in die Höhe gehängt, damit Hunde oder Eisbären sich nicht selbst bedienen.
Am Ortsausgang, steht das Wohnhaus von Knud Rasmussen, aus welchem man ein kleines Museum gemacht hat. Der große Polarforscher steht wie kein anderer für das Reisen in der Arktis. Doch er reiste nicht um Rekorde aufzustellen und als „Erster nach Irgendwo“ zu gelangen, er reiste mit und für die Menschen der Arktis. Seine großen Schlittenreisen führen Ihn von Grönland über Tausende von Meilen entlang der kanadischen Küste, bis zu den Inuit-Völkern an der Beringstraße. 1910 gründet er mit seinem Freund Peter Freuchen am Kap York die Handelsstation Thule, in der sich die Inuit zu fairen Preisen oder im Tausch gegen Robbenfelle und Pelze, mit den Dingen des täglichen Bedarfs versorgen konnten. Erhalten geblieben sind uns die Berichte über seine Reisen, die Sammlung von Märchen der arktischen Völker, und der Film Palos Brautfahrt. Im Gedächtnis bleibt uns sein markiger Satz…
„Gebt mir Winter, gebt mir Hunde, den Rest könnt Ihr behalten!“
Als wir am folgenden Tag, zu einer Schlittentour nach Siorapaluk, der nördlichsten Ansiedlung auf unserem Globus aufbrechen schießt mir dieser Satz durch den Kopf. Siorapaluk, liegt auf 77° 48′ Nord, ungefähr 60 km von Qaanaaq entfernt. Von hier aus, sind es nur noch 1000 km zum Pol. Nicht weit von hier liegt Etah. Von dort ist Peary, zu seiner Reise, zum „großen Nagel“ aufgebrochen. Es ist klirrend kalt, – 35° C. Die Art und Weise, wie unsere Inuit-Begleiter mit den widrigen Lebensumständen umgehen, nötigt uns allergrößten Respekt ab. Die Hundegespanne, welche die schweren Schlitten ziehen, sind fächerförmig eingeschirrt und werden von 8 -10 Hunden gezogen. Mit kurzen, scharfen Kommandos lenkt der Fänger den Schlitten und lässt seine bis zu 7 m lange Peitsche immer wieder rechts oder links in den Schnee jagen, um die Hunde anzutreiben. Auf dem bis zu 2 m dicken Meereis läuft der Schlitten wie auf Schienen.
Die Hunde, die für Rasmussen neben dem Winter so wichtig waren, sind keine Huskies mit blauen Augen, zum Knuddeln, sondern grönländische Schlittenhunde; eine robuste Rasse, treu und doch für jede Streicheleinheit empfänglich. Nach fast 3 Stunden Schlittenfahrt, taucht rechts von uns ein prächtiger Eisbogen auf. Der Wind hat diesen Eisberg ausgehöhlt und so modelliert, dass er wie ein Bilderrahmen vor den Felswänden des Robertson Fjords liegt. Wir machen Rast. Schnell haben unsere Inuit-Freunde zwei Schlitten zusammengeschoben und darüber ein Zelt errichtet. Ein Kocher sorgt für wohlige Wärme, und bald kribbelt es wieder, in den schon gefühllos gewordenen Füßen. Vor dem Zelt dampft auf einem weiteren Kocher heißer Kakao. Ajako, der Anführer und unsere anderen Begleiter, haben sich bei einem Pfeifchen und einem Plausch zusammengehockt.
Bevor wir uns zu sehr an den kleinen Komfort gewöhnt haben, gibt es Arbeit, die Hunde müssen gefüttert werden. Hartgefroren ist das Robbenfleisch, das mit Säge und Beil zerteilt wird. Die Fütterung erfolgt in der Rangstufe der Tiere im Gespann. Der Leithund bekommt zuerst, wie im wirklichen Leben.
Es ist noch ein ganzes Stück nach Siorapaluk, also brechen wir wieder auf. Nach dem wir Kap Kangeq umrundet haben, sehen wir in der Ferne unser Ziel. Ein gutes Dutzend kleiner bunter Häuschen ducken sich am Strand, vor den mehrere hundert Meter aufragenden Klippen. Es sieht so aus, als könnten wir in gut einer halben Stunde dort sein. Nach einer weiteren Stunde scheint es als seien wir unserem Ziel kaum näher gekommen. Die Luft in der Arktis ist so sauber und klar, dass Entfernungen sich schwer einschätzen lassen, und auch der Schall trägt weit. Geräusche sind oft kilometerweit zu hören.
Hans Jensen hat uns für die Übernachtung in Siorapaluk die Klinik empfohlen, ein leuchtend gelbes Holzhaus inmitten der kleinen Siedlung. Schnell sind wir von lachenden Kindern umringt, die sich über die Abwechslung freuen. Während wir dick vermummt jedes Kleidungsstück übereinandergezogen haben, toben die Kinder in Anorak und Adidas-Turnschuhen über das Eis. Fänger, in ihren Hosen aus Eisbärfell und Jacken aus Rentierfell, kommen vorbei um Hallo zu sagen.
Die Klinik ist ein großer Raum ohne Mobiliar; an den Wänden einige Aufklärungsplakate über Karies und Alkoholsucht. Schnell haben wir unsere Schlafsäcke auf den herbeigeschafften Matratzen ausgerollt und uns wohnlich für die Nacht eingerichtet. Mein Freund Rolf, will uns zu einem Bier einladen und greift in seinen Seesack. Er hat seine Alkoholmärkchen in Qaanaaq in „Tuborg-Light“ investiert und muss jetzt feststellen, dass alle Dosen durch den Frost geplatzt sind und in einem Eiszapfen aneinander hängen, was für reichlich Gelächter sorgt.
Der kommende Morgen ist klirrend kalt und sonnig. Wir wollen mit unseren Inuit-Freunden zur Jagd. Das ist natürlich eine Show-Veranstaltung. Ein Fänger, mit Touristen im Schleppnetz, wäre für das scheue Wild, ganz gleich ob Robbe, Walross oder Eisbär, eher „verschreckend“. Man führt uns vor, wie man an geeigneter Stelle Pressschnee aussägt und daraus ein Iglu baut, wie der Fänger sich hinter einen Sichtschutz aus weißem Segeltuch verbirgt und auf dem Eis an die Atemlöcher der Robben heranschiebt, oder wie man mit der Harpune auf Robbenfang geht.
Am folgenden Tag geht es zurück nach Qaanaaq und unsere Reise geht zu Ende, – dachte ich zumindest. Wir packen unsere Seesäcke zusammen, und machen uns wieder auf den Weg zum Heliport. Auf dem Dach des KNI – Büros (das ist die grönländische Handelsgesellschaft) leuchtet eine orange Rundum-Leuchte und zeigt an, dass der Helikopter auf dem Weg ist. Kaum gelandet, drängt Pilot Lars Wellander zur Eile. Über dem Politikken-Paß sei Nebel aufgezogen, die Sicht mies!
Als der Heli abhebt, stehen wir zu sechst auf dem Eis und schauen zu, wie unsere Freunde der Thule-Airbase zustreben. Das orange Rundum-Licht erlischt…No more Helicopter today !
Nun beginnt ein denkwürdiger Kleinkrieg. Die SAS-Linienmaschine, von Thule-Airbase via Kangerlussaq nach Kopenhagen, wird nicht warten. Hans Jensen hat sein Gästehaus an kanadische Touristen vermietet, die am Nachmittag mit einer Twin-Otter einfliegen. Der Kommandant von Thule-Airbase, Colonel Cox, verweigert uns die Einreise – für Ihn klingt Tourist genauso wie Terrorist. Erst nach Stunden genehmigt man uns den Aufenthalt im dänischen Gästehaus auf der Airbase….für eine Woche…! Es gibt nur einen Linienflug pro Woche. Auf der Airbase angekommen, werden wir kaserniert. Sehr viel Luxus bietet das Gästehaus nicht, außer einem Fernseher und einem Münzfernsprecher, kein Komfort. So wird vorsorglich aus der mitgebrachten Reiselektüre eine kleine Bibliothek zusammengestellt und getauscht. Essen kann gegen harte Dollars im Offizierskasino bestellt werden und wird in Wärmebehältern angeliefert, aber viele Dollars haben wir nicht, denn in Qaanaaq wird in Kronen bezahlt. Nach zwei Tagen, klopft es an der Scheibe des Fensters zum Aufenthaltsraum. Draußen steht ein dick vermummter Mann, mit 2 großen Pappkartons, die er mir wortlos überreicht. Whisky, Rotwein, Eier, Schinken, Tomaten…! Wo kommt das her ? Wie kann man das bezahlen ? rufe ich hinter ihm her ! Er murmelt etwas von Danish Underground und sitzt schon wieder im Auto.
Am Abend erfahren wir mehr. Unsere Nachbarn besuchen uns, sie haben die Wohnung die an das Gästehaus anschließt. Ole ist Feuerwehrmann auf dem Stützpunkt, seine Frau Susanna arbeitet im Postamt der Standortverwaltung. Nachdem man erfahren hat, dass hier deutsche Touristen quasi „interniert“ sind, kümmert sich der dänische Untergrund um unsere Versorgung. Der DLO (Danish Liason Officer) Commander Erik Thomsen, lässt uns seine herzlichen Grüße ausrichten und lädt uns für Sonntag zu einem Ausflug auf das Inlandeis und anschließend zu einem Umtrunk zu sich nach Hause ein.
So werden es trotzdem kurzweilige Tage. Die Amerikaner zeigen uns im „Gym“ Propagandafilme, von der Errichtung der Airbase, wir können einen Abend ins Offizierskasino, wo man sich für die Prinzipien von Colonel Cox entschuldigt (…er sei eben aus Lower Alabama) und wo man manch Interessantes erfährt. Zum Beispiel, das hinter der Airbase noch der alte Ort Dundas exisitiert, der Platz, an dem Knut Rasmussen und Peter Freuchen ihre Handelskompanie betrieben haben, – das die Amerikaner am 4. Juli auf dem Tafelberg, der sich hinter dem Stützpunkt erhebt, – dem Dundas-Mountain – Golf spielen, aber auch, dass von Thule-Airbase aus alle militärischen Satelliten der nördlichen Hemisphäre programmiert werden und die beheizte Landebahn, die dritte auf der Welt ist, auf der das Spaceshuttle landen könnte.
An unserem letzten Abend, erkämpft Commander Thomsen für uns die Erlaubnis, nach Dundas hinaus wandern zu dürfen. Die Sonne steht tief und orange am Himmel und Ihr Licht bricht sich in den aluminiumverkleideten Hangars und Baracken. Richtig dunkel wird es nicht mehr. Wir haben uns den letzten Single Malt Whisky vom dänischen Untergrund aufgehoben und stehen an historischer Stätte, vor den vernagelten Holzhäusern des alten Dundas. Es scheint uns so, als dringe das Lachen der Inuit-Kinder, die einst hier spielten an unser Ohr, aber es ist nur das Klirren des jahrhunderte alten Eises im Whiskyglas. – „The whispering of the Ages“.
Unsere Reise, hatte nichts gemein mit den Expeditionen von Entdeckern früherer Tage, aber sie hat uns einen Eindruck vermittelt, wie es gewesen sein muss und sie hat uns Ehrfurcht abgenötigt vor den Menschen, die unter den polaren Bedingungen leben und überleben. Deswegen möchte ich mit den Worten eines berühmten Polarforschers diesen Bericht schließen.
Eine Überwinterung im Packeis ist dann unterhaltend, wenn man zu Hause am Kaminfeuer davon liest, doch sie wirklich durchzumachen, das ist sehr schwer, und sie kann einen Menschen vorzeitig altern lassen. (George W. de Long / Die Fahrt der „Jeanette“)