Rajasthan – Land der Könige
Als „Reisender“ macht man immer wieder die gleichen Fehler und das trübt häufig die Urlaubsstimmung. Mit Kuwait-Airlines waren wir nach Delhi geflogen und weit nach Mitternacht auf dem Indira-Ghandi-Airport angekommen. Trotz der frühen Morgenstunde ist auf den Straßen noch die Hölle los, so dass wir gut zwei Stunden bis zum Delhi Grand Hotel benötigen.
2 Stunden schlafen, duschen, frühstücken und dann auf zur Stadtrundfahrt durch Delhi. Wer so vorgeht, begeht einen Fehler. Delhi ist ein Moloch, 11 Millionen Menschen sollen hier zwischenzeitlich leben und das ist nur eine vorsichtige Schätzung. An 365 Tagen im Jahr hängt eine Smog-Glocke über der Stadt. Selbst wenn die Sonne scheint und der Himmel wolkenlos ist, liegt ein Grauschleier über der Stadt mit dem mörderischen Verkehr. Delhi hat vieles zu bieten, aber die Stadt ist riesig und die Wege weit. Das latente Jet-Lag, der Smog, die Menschen- massen und das Fotografierverbot an den meisten Sehenswürdigkeiten legen mir einen Grauschleier auf’s Gemüt.
Am folgenden Morgen verlassen wir Delhi in Richtung Shekhawati-Region. Der Straßenverkehr in Indien ist gelinde gesagt gewöhnungsbedürftig. Alles was Räder hat, fährt auf den Straßen, Fuhrwerke, Fahrräder, Tuc-Tuc’s; – auch auf der Autobahn.
Wir machen Kilometer an diesem Tag und erreichen am späten Nachmittag Jhunjhunu. Mit unserem kleinen Bus können wir nicht in die enge Altstadt; – so nehmen wir am Stadttor einige Tuc Tuc’s, was den Fahrern ebensoviel Freude macht, wie uns. Zum einen verdienen sie etwas, bevor die Sonne untergegangen ist, zum anderen liefern sie sich ein Wettrennen durch die engen Gassen. Bei jedem auch noch so kurzen Stop umringen uns sofort viele Kinder und es gelingen mir einige sehr schöne Portraits.
Am Abend treffen wir in Mandawa ein und beziehen Quartier im alten Maharadscha-Palast, den man zu einem Sterne-Hotel umgebaut hat. Auch jetzt, im November sind die Temperaturen abends noch angenehm warm. Das Dinner findet im Palastgarten statt und wird untermalt von Musikanten und einem Fackelträger, den man hier den Michael Jackson von Mandawa nennt. Der alte Herr, mit seinem imposanten Bart, war früher Soldat in der Leibgarde des Maharadschas.
Mandawa, Nawalgarh und Fatehpur sind das Herz der Shekhawati-Region. Die Randzone der Wüste Thar war Knotenpunkt für die Handelsrouten zwischen Indien, Afghanistan, China und Persien. Vom Reichtum der Region zeugen die vielen Havelis; – kleine Paläste reicher rajputischer Kaufleute, die versuchten sich in Pracht und Herrlichkeit ihrer Baukunst zu übertreffen. Das Wort Haveli stammt aus dem persischen und bedeutet soviel wie „umschlossener Platz“. Kennzeichnend für diese architektonischen Kleinodien sind die Fresken auf Innen- und Außenwänden, die häufig das „harte“ Leben des Kaufmanns beschreiben, seine Reisen… sein Boot….sein Haus…. sein Auto, um in der Diktion eines aktuellen Werbespots zu bleiben.
Viele Havelis sind heute dem Verfall preisgegeben, es gibt kein Geld, um diese aufwendigen Bauten zu unterhalten. Einige, wenige Paläste sind aber auch heute noch im Besitz reicher Familien, die aber zumeist weit weg in Delhi residieren. Es bleibt zu hoffen, dass diese Zeugnisse des Wohlstands vergangener Tage auch für kommende Generationen erhalten bleiben.
Bikaner liegt ein wenig abseits touristischer Pfade. Auch wenn es nicht zu den Perlen Rajasthans gehören mag, ist es doch einen Besuch wert. Da wir keinen festen Guide für unsere Tour haben, treffen wir unseren jeweiligen „Stadtguide“ nach telefonischer Verabredung. Lalu unserer Bikaner-Führer erwartet uns mit dem Handy am Ohr am Junagarh Fort und begrüßt uns, ohne das Handy aus der Hand zu legen. Das wird sich für die Zeit unseres Zusammenseins auch nicht ändern. Von uns ist er gleich der „Handy-Man“.
Junagarh Fort ist eine riesige Wehranlage, umschlossen von einer 986 m langen, 20 m hohen und bis zu 9 m breiten Mauer. Ein Raja hatte Ende des 16. Jahrhunderts mit dem Bau dieser gewaltigen Anlage begonnen; – das Gewirr aus Empfangsräumen, Innenhöfen, Audienzhallen und Terrassen wird gekrönt durch vielen kleine Kuppeltürmchen im Zuckerbäckerstil. In einem der Innehöfe findet sich eine ganze Wand mit Handabdrücken der Frauen, die ihren fürstlichen Ehegatten nach deren Tod mehr oder weniger freiwillig auf den Scheiterhaufen folgten um ihnen im Jenseits Gesellschaft zu leisten. Ein barbarischer Brauch.
Bekannt ist Bikaner vor allem für seine Kamelzucht, es ist Heimat des Bikaner-Camel-Corps das im 1.Weltkrieg auf britischer Seite so bravourös gegen die Türken kämpfte. In Fontanes Gedicht Archibald Douglas gibt es die Textstelle „…. wo immer die Welt am schönsten war, da war sie öd und leer.“ Öd und leer ist die Wüste Thar sicher nicht, im Gegenteil sie zählt zu den am dichtest besiedelten und am meisten kultivierten Wüstengebieten auf unserem Globus. Zu den schönsten Plätzen auf dieser Welt gehört für mich aber sicher Jaisalmer.
Wenn die flirrende Hitze, die unsere Wahrnehmung zu Zerrbildern macht, sich in der Abendkühle verliert und den Blick frei gibt, auf einen Hügel, der von einer Stadtfestung gekrönt wird, hinter welcher der Sonnenball glutrot am Horizont versinkt, ist diese keine Fata Morgana, sondern man nähert sich Jaisalmer.
Das man hier nicht fern der Grenze zum verfeindeten Pakistan ist, verdeutlicht die hohe Militärpräsenz. Wer Jaisalmer, die „goldene Stadt“ besucht, sollte sich Zeit nehmen um durch die verschlungenen Gassen zu bummeln. Prächtig sind Kaufmannshäuser in der Altstadt. Anders als in Mandawa sind es nicht die typischen Fresken, sondern die filigranen Schnitz- und Stuckarbeiten, welche die Fassaden prägen. Viele Kunsthandwerker gibt es in Jaisalmer und Umgebung. Hochwertige Silberarbeiten und feinste Stoffe werden hier feilgeboten. Vieles wird in den Zelten der Nomaden in der Wüste hergestellt. Man nimmt sich immer vor, keine Souvenirs zu kaufen; -aber hier kann man nicht wiederstehen und die Händler wissen dies genau.
Nach einem Besuch beim Silberschmied kann man die heißen Stunden des Tages bei einem Tuchhändler verbringen. Gastfreundlich wird man hier mit kalten Getränken oder einem heißen Tee bewirtet und danach wird ein Feuerwerk an Farben, Stoffen, Decken, Tüchern und Schals angeboten. Schnell ist der Boden mit einer breiten Kollektion des Sortiments bedeckt, in deren Mitte der Händler thront und immer wieder die Einzigartigkeit seiner Ware betont.
Die Topqualitäten und aktuellen Designs werden in Europa unter den Labels berühmter Modehäuser wie Hermès oder Cerutti verkauft. Bisher kannte ich Seide und Kaschmir als feine Garne aus denen das Beste vom Besten gewebt wird. Hier lerne ich dazu, das Beste von Besten ist Pashmina. Der feine Stoff eines Schals lässt sich problemlos durch einen Ehering ziehen. Die Geschichte, das Pashmina aus der Wolle des Barthaares einer besonderen Himalaya-Ziege gewonnen wird, gehört jedoch in den Bereich der Fabeln und Verkaufsargumente. Pashmina besteht zu 70% aus Kaschmir-Wolle und zu 30% aus Seide. Wer nach einigen Stunden gestresst und bepackt mit den Schätzen des Orients den Laden verlässt, sollte seine Einkäufe zunächst im Hotel deponieren, denn es gibt noch soviel zu entdecken, was man unbelastet in Angriff nehmen sollte.
Mitten in Jaisalmer liegt ein großer Jain-Tempel, doch dazu später mehr. Wir wollen zu den Chhattris von Bada Bagh; – die Grablege der Herrscher von Jaisalmer liegt in den späten Nachmittagsstunden in einem Licht, das den gelben Sandstein, aus dem die Pavillons erbaut sind, wie pures Gold aussehen lässt. Ich warte, bis die untergehende Sonne unter den Kuppeln zwischen den Säulen steht und komme zu Traumbildern. Die Chhattris verlangen viel fotografisches Fingerspitzengefühl, nicht etwa, weil man die Totenruhe stören könnte, sondern weil die Inder hinter den Chhattris einen Windpark errichtet haben und wer will schon moderne Windmühlen in diesem Stilleben.
Happy Diwali ! begrüßt uns am Abend unser Fahrer Ram Kishan, …. would you like to have a drink at the bus ? Natürlich nehmen wir die gut gemeinte Einladung an und geniessen einen “Black Monk” den süssen, wohlschmeckenden indischen Rum. Danach beginnt das Feuerwerk. Diwali, das Fest der Lichterkette ist eine Mischung aus unserem Weihnachten mit Silvester und ein 5-tägiges Fest in Indien.
Am folgenden Morgen verlassen wir Jaisalmer und machen uns auf den Weg zur „blauen Stadt“ Jodhpur. Auf unserem Weg kommen wir durch Weiler und Orte und haben immer wieder unvergessliche Begegnungen. Ram hat sich zwischenzeitlich auf meine Art der Fotografie eingestellt. Als er in einem der namenlosen Orte eine Prozession in bunten Gewändern in einem Tempel verschwinden sieht, tritt er hart auf die Bremse, verschwindet im Eingang des Tempels und kommt mit der ganzen Sippe zurück, die sich brav zum Gruppenbild aufstellt.
Jodhpur wird überragt vom Mehrangarh Fort mit seinen sieben Festungstoren. Von hier hat man einen traumhaften Blick auf die würfelförmigen Häuser der Stadt, die Bauklötzen gleich in den verschiedensten Blautönen übereinandergeschachtelt zu sein scheinen. Am Abend besuchen wir den Basar mit seinem bunten Treiben, auch hier ist mit unserem Bus kein Durchkommen. So lassen wir unser Fahrzeug an der Peripherie stehen und nehmen das Tuc Tuc, ein dreirädriges Motorroller-Taxi mit Platz für 3-4 Personen. Die Abgase die diese Gefährte verbreiten, die zu tausenden über die Straßen rollen, sind atemraubend.
Auf dem Basar wird alles angeboten, was die indische Hausfrau und der gutsituierte Inder benötigen. Gewürze, Kochtöpfe, geröstete Haselnüsse, Blumenkränze als Willkommensgruß und Lebensmittel aller Art. Gerade bin ich noch am Fotografieren, und als ich mich umdrehe ist der Rest unserer Gruppe verschwunden und in der Masse untergegangen. Nach wenigen Minuten sehe ich, das weiteres Suchen aussichtslos ist und nehme ein Tuc Tuc zurück zum Hotel. Als der Fahrer mit mir durch die Nacht braust, frage ich mich, ob er mich wohl richtig verstanden hat oder ob ich mir (nur wenige Stunden zuvor angekommen) den Namen des Hotels richtig gemerkt habe ? Als wir im Taj Hari Mahal mit seinen strahlenden Lichtern ankommen und der Bell Captain etwas indigniert auf das Gefährt herunterschaut das in der Auffahrt steht, weiß ich, hier bin ich richtig. Die Hotels der Taj-Gruppe gehören zum luxuriösesten was Indien zu bieten hat. Als die Doppeltür hinter mir ins Schloss fällt und der flauschige Teppich auch das letzte Geräusch dämpft, bemerke ich die wohltuende Stille. Indien ist anstrengend, viele Menschen, viele Eindrücke und ein dröhnender Geräuschpegel, der auch nachts kaum abebbt; – da ist Stille ein absoluter Genuss.
Nur wenige Kilometer sind es am nächsten Tag nach Luni. Hier leben die Bischnoi, Anhänger eines Gurus, der im 15. Jahrhundert, 29 Regeln (bish = 20, noi = 9) aufstellte die das Zusammenleben der Menschen regelt und die den schonenden Umgang mit der Umwelt in den Mittelpunkt stellt. Nachhaltigkeit ist also keine Erfindung unserer Tage. Die Grundsätze verbieten den Genuss von Tabak und Alkohol. Ein bißchen Spaß muß sein ! So nimmt es auch nicht Wunder, das die erste Einladung die wir wahrnehmen können, die zu einer Opium-Zeremonie ist. Mit glasigen Augen sitzen die Männer um die Wasserpfeife und inhalieren die Dämpfe Marke „sorgenfrei“. Am Abzweig der Straße von Jodhpur nach Luni liegt eine kleine Teppichweberei. Unter einem Baldachin sitzt der Weber im Sand und hat seinen Webstuhl an einem Baum fixiert. Er wittert ein Geschäft und schnell liegen im Sand vor uns, wunderschöne Webteppiche in Naturfarben. Die ganze Familie ist im Einsatz: die Ehefrau, ganz unindisch, selbstbewusst fertigt Tisch- und Tagesdecken im Stempeldruck, der Großvater sitzt an der Nähmaschine und der Jüngste, kaum das er Krabbeln kann, hantiert bereits mit einer großen Schere. Der Herr des Hauses drückt mir seine Visitenkarte in die Hand, was er nicht am Lager hat, fertigt er gerne an und liefert nach Deutschland; „hier steht meine e-mail Anschrift drauf !“ So ist Indien, primitive Webtechnik mit Internetzugang !
In Luni übernachten wir in einem wunderschönen kleinen Maharadscha-Palast. Lange sitzen wir abends noch im Innenhof bei einem Gin-Tonic, genießen die laue Nacht und lassen den Tag Revue passieren.
Indien ist ein spirituelles Land. Wer an Gott glaubt hat hier über 300.000 Möglichkeiten, denn so viele Gottheiten zählt alleine der Hinduismus. Aber auch der Buddhismus in all seinen Strömungen, Islam, Zoroastrier, Christen und der Jain-Glaube finden hier ihre Anhänger. Ranakpur, Reise ist Zentrum des Jainismus. Diese Glaubensrichtung entstand im 6. Jahrhundert v. Chr. durch Abweichler von den strengen Geboten der Brahmanen. Der Religionsstifter Mahavira predigte Askese, die Schonung jeglichen Lebens und daraus resultierend das Vegetariertum und Wiedergeburt. Der Tempelkomplex von Chaumukh unweit von Ranakpur ist ein Höhepunkt der Jain-Baukunst. In jeden Quadratzentimeter des Sakralbaus haben Steinmetze detailgenaue Darstellungen aus dem Leben und der Götterwelt der Jain gehauen. Jede Stufe, jede Säule, jeder Schrein zeugen von der Frömmigkeit und dem tiefen Glauben dieser Menschen.
Nur 2 Stunden Fahrt sind es von Ranakpur nach Udaipur. Als Venedig des Ostens wird diese am Pichola-See gelegene Perle des Orients häufig genannt. Der Maharadscha Udai Singh ließ die Stadt, die seinen Namen trägt im 16. Jahrhundert an strategisch günstiger Position erbauen. Die Dimensionen seines Stadtpalastes, des größten Rajasthans, lassen sich von der Seeseite am besten ermessen, hier kann man, bei einem Sundowner auf der Terrasse des Lake Palace Hotels, – dem 1746 errichteten Sommersitz des Maharadschas – die Aussicht genießen.
Udaipur ist ein weiteres Zentrum des Kunsthandwerks, viele Miniaturmaler haben sich hier angesiedelt. Mit Pinseln aus Katzenhaar werden unter dem Lupenglas Kunstwerke geschaffen, welche Ihresgleichen suchen. Man kann sich kaum satt sehen an den Meisterwerken mit indischen Motiven, an denen die Künstler mitunter mehrere Wochen arbeiten. Niemand verlässt einen solchen Laden, ohne nicht mindestens ein Stück mit nach Hause zu nehmen.
Von Udaipur aus wollen wir nach Pushkar. Auf dem Weg dorthin kommen wir an einer kleinen Schule vorbei. Die große Pause scheint zu Ende zu sein. Ich habe wie auf jeder Reise ein ganzes Bündel „Pens“ im Rucksack und hier scheint eine gute Gelegenheit diese loszuwerden. Der Lehrer, der zugleich Rektor dieser Zwergschule ist, – in der Schüler verschiedenen Alters in mehreren Klassen gleichzeitig unterrichtet werden, – strahlt über das ganze Gesicht, ob dieses Schatzes. An der rosafarbenen Hauswand ist ein Bleistift aufgemalt, auf dem 3 Schüler zum Lernerfolg reiten, wie bei uns die Hexen auf dem Besen. Hoffentlich erleichtern die neuen Schreibgeräte das Lernen. Auf der Treppe wird schnell noch Aufstellung für ein Gruppenbild genommen und dann trennen sich unsere Wege wieder. Für mich sind es sind gerade diese flüchtigen Momenten der Freude, die mir im Gedächtnis haften bleiben.
Pushkar ist 11 Monate im Jahr eine verschlafene Kleinstadt und Sammelbecken für „Ausgeflippte“ und „Aussteiger“ aus aller Welt. Einmal im Jahr, im November, zieht Pushkar einem Magneten gleich, die Inder an. Die Rajputen kommen vor allem zum größten Kamelmarkt Indiens, der in den ersten Tagen des November stattfindet. Es ist wie ein Jahrmarkt. Zwischen Riesenrad, Schiffschaukel und Verkaufsbuden werden Reittiere aller Art gehandelt, ganz gleich ob Esel, Mulis, edle Rösser oder eben Kamele. Mehr als 10.000 Tiere, so schätze ich, stehen hier auf dem Festplatz, der gesäumt wird von Handwerkern und Kaufleuten, die alles herstellen und verkaufen, was ein Kamel so braucht, Sättel, Zaumzeug, Seile…
Jeden Tag bin ich vom frühen Morgen, bis zum späten Abend mit der Kamera unterwegs um diese unvergleichlichen Stimmungen und skurrilen Typen einzufangen, in allen Farben scheinen die Turbane der Karawaniers zwischen den Kamelen auf, überall stehen Gruppen von Männer beisammen, rauchen und beratschlagen die Vorzüge und Mängel der einzelnen Tiere. Die Straßen, die zum Marktgelände führen, erlauben kaum ein Fortkommen. Menschenmassen sind unterwegs. Hier finde ich die Typen, welche ich gesucht hatte, Schlangenbeschwörer, Teeverkäufer, Saddhus, Pilger und einen „Nasenflöter“ mit 2 m langem Bart, Schellen an Händen und Füßen und 2 Blockflöten die er nur durch die Nasenlöcher bläst. So bekommt unsere Redewendung „…auf dem letzten Loch pfeifen“ eine fast wörtliche Bedeutung.
Der Kamelmarkt ist zugleich Heiratsmarkt. Da wir einige Tage vor den Hauptmarkttagen gekommen sind, haben wir noch Zimmer im Hotel Pushkar Palace bekommen, das sonst an den Festtagen immer ausgebucht ist. Es liegt direkt am heiligen See von Pushkar. Zur Eröffnung des Kamelmarktes gibt es ein großes Feuerwerk. Da Pushkar ein heiliger Ort ist, wird hier kein Alkohol ausgeschenkt und es gibt ausschließlich vegetarisches Essen; – so schauen wir zu, wie die Raketen und bengalischen Lichter den Nachthimmel in rot, violett, grün und gold tauchen und danken Shiva, Vishnu und Brahma für den mitgebrachten Cognac.
Gegen 4 Uhr in der Nacht schrecke ich aus dem Schlaf: Ram, Ram, Ram,…Ram, Sam, Sam…. Ram, Ram, Ram tönt es laut vom See her. Schlaftrunken trete ich ans Fenster und sehe schemenartig eine lange Kolonne Saddhus, oder sind es doch eher Sadisten ? die auf dem Weg hinunter zum See sind, um ein rituelles Bad zu nehmen und dabei ihre monotonen Gesänge erschallen lassen.
Gleich nach dem Kamelmarkt feiert Pushkar die Mela. Kurz vor Vollmond wird Pushkar zum bedeutendsten Wallfahrtsort Indiens. Tausende und Abertausende Pilger ziehen von Ajmer aus über den Schlangenpass nach Pushkar. Jeder gläubige Hindu träumt davon das Shiva, Wischnu oder Brahma ihm nach einem reinigenden Bad in der Vollmondnacht im heiligen See von Pushkar, die Sünden erlässt. Am frühen Morgen beginnt die Pilgerfahrt an den Ghats, den Treppenstufen zum heiligen Wasser, Frauen in leuchtend bunten Saris, stehen zwischen halbnackten Saddhus und ganz in weiß gekleideten Pilgern, jeder wartet darauf im Angesicht der aufgehenden Sonne ins Wasser zu tauchen.
Als wir Pushkar am folgenden Morgen verlassen, schwillt der Pilgerstrom an und wir beginnen zu ahnen, was sich in den kommenden Tagen hier abspielen wird. Wir sind auf dem Weg nach Jaipur der „Pink City“. Auf dem Weg dorthin liegen am Straßenrand viele Natursteinbetriebe. Grüner und weißer Marmor, rosa und grauer Granit steht hier als Platten und Fliesen in großen Mengen und man fragt sich unwillkürlich, wer sich in Indien solchen Luxus leisten kann.
Wir waren bereits in der „goldenen Stadt“ Jaisalmer, der „blauen Stadt“ Jodhpur, der „weißen Stadt“ Udaipur und erreichen am nachmittag die „rosa Stadt“ Jaipur. Doch Jaipur war nicht immer rosa, erst als Prinz Albert der Prinzgemahl der indischen Kaiserin und englischen Königin Victoria 1876 die Stadt besuchte, wurden viele Gebäude ihm zu Ehren rosa angestrichen.
In Jaipur muß man verweile und sich durch den Tag treiben lassen, so viel gibt es zu sehen. Weltbekannt ist der Palast der Winde , das Wahrzeichen Jaipurs. Im 18. Jahrhundert ließ Maharadscha Pratap Singh dieses Symbol allerhöchster Dekadenz errichten. Das fünf Stockwerke hohe, fast tausend Nischen, Fenster und Erker zählende aber nur 1-Zimmer breite Bauwerk, war den Haremsdamen des Maharadschas vorbehalten, sollte ihnen den Blick auf den Prachtboulevard eröffnen, ohne selbst gesehen zu werden. Von den Dachterrassen der gegenüberliegenden Gebäude hat man die beste Aussicht. Als ich bepackt mit 12 kg Kameraausrüstung und Stativ meinen Weg fortsetzen will, treffe ich unmittelbar neben dem Palast der Winde auf zwei Schlangenbeschwörer, die auf Kundschaft warten.
Für eine paar Rupien und ebenso viele gute Worte überrede ich die beiden Herren, sich mit Ihren „Giftspritzen“ vor den Palast zu setzen. Damit habe ich ein Desaster angerichtet, was mir sofort leid tut. Ein Polizist in Zivil schreitet ein. Das Sitzen auf dem Trottoir vor dem Palast ist verboten, die beiden schleichen sich mit ihren Körben samt giftigen Bewohnern von dannen und haben für heute Platzverbot. Aber in Jaipur gibt es viele Plätze, die Touristen und Reisende wie ein Magnet anziehen , und so werden die beiden sicher einen Platz finden um ihr täglich Brot zu „beschwören“.
Amber Fort , etwas außerhalb von Jaipur gelegen, ist ein Highlight, das kein Besucher auslässt. Spektakulär ist schon der Anblick von unten auf die auf einem Hügel liegende Festungsanlage, die sich im darunter liegenden See spiegelt. Auf einem bunt geschmückten Elefanten kann man die steile Rampe bis zum Haupttor Suraj Pol hinauftragen lassen. Man kann stundenlang durch die vielen Räume, Hallen, Pavillons und Galerien streifen.
Maharadschas haben hier mehr als 200 Jahre lang ihre Bauleidenschaft ausgelebt. Im Jai Mandir, einem komplett mit Spiegelmosaik ausgelegten Gemach bricht sich das Licht, das durch die filigranen durchbrochenen Fenster fällt, diese geben den Blick frei auf die Gebirgszüge des Aravalli-Massivs, welche das Amber-Tal umschließen. Den Weg nach unten lege ich lieber zu Fuß zurück, der Ritt auf dem Elefanten ist doch eher etwas gewöhnungsbedürftig für einen „bodenständigen“ Fotografen.
Zurück in der Stadt sollte man den Stadtpalast nicht auslassen. Der Baustil ist stark geprägt von den Vorbildern des Mogulstils. Riesig sind auch die Dimensionen dieser Anlage, weite Tore und Audienzräume findet man. Für Maharadschas wie Madhu Singh I eine Lebensnotwendigkeit, denn mit 250 kg Lebendgewicht wird er wohl Schwierigkeiten gehabt haben, von einem Raum in den nächsten zu gelangen. Sein Gürtel mit einer Weite von 180 cm ist heute noch im kleinen Museum zu bewundern, in dem Waffen und Uniformen der Fürsten ausgestellt werden. 32 Jahre ist er nur alt geworden und nur eine Fußnote im Geschichtsbuch der Rajputenherrscher.
Ähnlich kurios sind die beiden mit je 345 kg größten Silbergefäße der Welt, die in der großen offenen Empfangshalle stehen. Fürst Madhu Singh II. hat sie anfertigen lassen und sich darin 9000 ltr. Ganges-Wasser nach London transportieren lassen um anlässlich der Krönung Edwards I.I nicht auf das Naß aus den heiligen Fluten verzichten zu müssen. Offensichtlich hatte er wenig Vertrauen in die englische Wasserqualität.
Nach einem anstrengenden Tag nehme ich eine Fahrradriksha zurück zum Hotel. 15 Rupien kostet die Fahrt für gut 20 Minuten von der Altstadt ins Hotelviertel. In dem höllischen Verkehr strampelt sich der arme Kerl ab und ich habe ein schlechtes Gewissen. Sein Husten klingt stark tuberkulös und die Abgase von Autos und Mopeds tun Ihr übriges. Eigentlich wäre es gerechter, wenn ich in die Pedale treten und er hinten sitzen würde, zumindest würde das der körperlichen Kondition entsprechen. Der Stolz eines Riksha-Fahrers würde das jedoch niemals zulassen. Als wir in die Straße zum Hotel einbiegen, das mit seiner hohen Mauer eine Oase der Ruhe mitten in diesem Trubel bildet, haben entlang der Außenmauer Barbiere Ihre Spiegel aufgehängt und auf Klappstühlen sitzen Männer mit eingeschäumten Gesichtern und lassen sich rasieren. Gleich nebenan übt ein Straßenzahnarzt sein Gewerbe aus. Schmerzverzerrt schaut die Patientin in die Welt. Hier wird nicht gebohrt, gefüllt oder überkront, sondern nur gezogen. Wie aufs Wort hält der Bader den blutigen ausgerissenen Zahn mit der Zange in die Höhe, während die Patientin in die Bewusstlosigkeit dämmert; man mag gar nicht hinschauen.
Den letzten Tag in Jaipur habe ich mir für den Basar aufgespart und lasse mich nach dem Frühstück mit einem Tuc Tuc zum Singh Pol, einem der sieben Eingangstore zur Altstadt bringen. Durch das 7 m hohe und mit einer Mauerstärke von 3 m massig wirkende Tor strömt schon jetzt am frühen Morgen unaufhaltsam der Verkehr. Händler und Bauern aus der Gegend bringen Ihre Waren zum Markt. Bereits vor dem Tor haben Obst- und Blumenhändler ihre Stände aufgebaut. Ein farbenfrohes Bild. Der Basar, das Viertel der Handwerker und Händler ist so riesig, das man ihn in Abschnitte unterteilt hat. Mich begeistern immer wieder die Wohlgerüche des Orients und ich steuere den Gewürzbasar an. Hier gibt es alles was man sich vorstellen kann; – alleine die vielfältigen Currymischungen verströmen einen Duft der unvergleichlich ist. Curry, das indischste aller Gewürze ist im eigentlichen Sinne kein Gewürz, denn es gibt keinen Currystrauch oder Currybaum. Basis der Gewürzmischung ist immer Gelbwurz auch Curcuma genannt und dann stellt sich jede Hausfrau ihr Curry aus anderen Gewürzen so zusammen wie sie es mag. Aber nicht nur Curry gibt es hier, nein, auch Pfeffer, Koriander, Piment, Zimt, Vanille, Schwarzkümmel und Steinsalz aus dem Himalaya. Für wenige Rupien kann man hier die Vorräte im Küchenschrank auffüllen.
Mein nächstes Ziel ist der Basar der Tuchhändler. Ich frage in einem Laden, in dem Sari-Stoffe verkauft werden, ob ich dort fotografieren darf. Der Geschäftsführer und die Verkäuferinnen reagieren zunächst zurückhaltend, da hier doch eher Frauen als Männer einkaufen. Sie geben Ihre anfängliche Scheu jedoch bald auf, nachdem sie sehen mit welcher Begeisterung ich zu Werke gehe. Auch wenn sie nicht erwarten, das ich mir einen Sari schneidern lasse und die Fragen nach Ehefrau und Kindern bereits verneint sind, schleppen sie einen Stoffballen nach dem anderen an und am Ende sitzen wir in einem Berg von Farben, der das Herz höher schlagen lässt.
Der kommende Morgen sieht uns auf der Landstraße in Richtung Agra. Wir verlassen Rajasthan und passieren die Grenze zum Bundesstaat Uttar Pradesh. Es herrscht dichter Nebel und man kaum die Hand vor Augen sehen. An die vielen merkwürdigen Vehikel, die über Indiens Straßen rollen, haben wir uns schon gewöhnt. Als aus dem Nebel jedoch ein LKW nach dem anderen ohne Führerhaus und ohne Aufbau auftaucht, auf dem die Fahrzeuglenker nur auf dem Chassis sitzen, schauen wir diesen doch verdutzt hinterher. Des Rätsels Lösung: in der Nähe ist das LKW-Werk von TATA und die Fahrzeuge werden hier hergestellt. Die bunten, überladenen Aufbauten mit ihren vielen Verzierungen und Bildern aus den indischen Epen Ramayana und Mahabarata werden anderen Orts montiert.
Die Sonne vermag sich an diesem Tag nicht recht gegen den Nebel durchzusetzen. Am Nachmittag lugt sie kurz durch die Wolken, doch der Smog in Agra ist ebenso dicht wie der Nebel, so das eines ins andere nahtlos übergeht.
Auf Agra, den Schlusspunkt unserer Reise, hatte ich mich sehr gefreut; auf Fatehpur Sirki, die Tempelstadt die Mogul Akhbar vor den Toren Agras errichten ließ, auf das Rote Fort und natürlich auf das Taj Mahal – das Grabmal einer unvergänglichen Liebe. Rudyard Kipling behauptete, man könne das Taj Mahal nicht mit Worten beschreiben. Shah Jahan ließ das Mausoleum in Erinnerung an seine Erwählte Mumtaz Mahal erbauen, nachdem diese im Alter von nur 38 Jahren im Kindbett bei der Geburt ihres 14. Kindes starb. Architekten aus Frankreich und Italien wurden zu Rate gezogen, doch am Ende war es Shah Jahan selbst, der den Bau zu seiner Lebensaufgabe machte. Mehr als 20.000 Maurer, Steinmetze, Mosaikleger und Stuckateure arbeiteten hier mehr als 20 Jahre, bis das Werk im Jahr 1653 vollendet war. Wer kennt die Ansichten dieses „Weltwunders“ nicht. In meinem Kopf gab es ein Bild, aus unseren Tagen. Die einsame Lady Di, auf einer Bank vor dem Taj Mahal sitzend. Ob sie damals schon geahnt haben mag, das sie nicht einmal so alt werden sollte wie jene Mumtaz Mahal – die Lieblingsfrau des Moguls ?
Auch wenn mich der Anblick dieses Bauwerks gefangen nimmt, bin ich doch enttäuscht. Bei mehreren Anläufen zu den verschiedensten Tageszeiten bietet sich immer das gleiche Bild. Ein nie zu versiegen scheinender Besucherstrom schiebt sich durch Gartenanlage und Mausoleum. Ich schätze mehr als 10.000 Besucher, davon kommen alleine gut 2.000 von einem amerikanischen Kreuzfahrtschiff, das vor Mumbai liegt, die man mit einem Sonderzug hierher gekarrt hat. Wenn man die Zahl der täglichen Besucher mit dem hohen Eintrittsgeld von 17,– € multipliziert, fragt man sich, – bei all den Slums -, die man durchquert bevor man das Taj Mahal erreicht, wo diese Gelder wohl versickern mögen.
Mein Traum vom Alleinsein, wie Lady Di, bleibt eben nur ein Traum und ich erinnere mich, das man unserem Altpräsidenten Heinrich Lübke zugeschrieben hat, er habe trotz des großartigen Anblicks des Taj Mahal zu seiner neben ihm stehenden Frau gesagt…“Wilhelmine, Sauerland bleibt Sauerland“. Dem ist wenig hinzuzufügen.
Gegenüber unseres Hotels befindet sich eine Steinschneiderei. Die Kunst von Einlegearbeiten in Marmor, wie wir diese in so imposanter und großer Zahl am Taj Mahal gesehen haben, hat sich bis in heutige Tage erhalten. Die Steinschneider und Reliefleger schleifen millimeterstarke Figuren, Blüten und Ornamente aus Halbedelsteinen wie Malachit oder Lapislazuli und legen diese in den weißen Marmor der aus der Region stammt. So entstehen kleine Kunstwerke, Tischplatten, Vasen, Bonbonieren und vielerlei Zierrat. Auch diesen Laden verlässt man nicht ohne weich geworden zu sein, und einem der vielen Verkäufer nachgegeben zu haben.
Mit seinen vielen Schätzen steht man irgendwann wieder auf dem Frankfurter Flughafen. An einem kalten Winterabend setzt man sich hin und schreibt seine Erinnerungen auf. Man träumt sich zurück an jene Orte und fragt sich, was einem bleibt ? Vielleicht eine der vielen indischen Weisheiten ? Ich erinnere mich von einem indischen Philosophen folgendes gelesen zu haben:
…“Die Welt ist für uns eine Brücke, die mitten auf dem Wege zur Ewigkeit liegt. Der Verständige wird sich auf dieser Brücke kein Haus bauen“.