Tango, Pampas, Fin del Mundo

Ich bin der Albatros, der am Ende der Welt auf dich wartet.
Ich bin die vergessene Seele der toten Seeleute,
die Kap Hoorn ansteuerten von allen Meeren der Erde.
Aber sie sind nicht gestorben im Toben der Wellen.
Denn heute fliegen sie auf meinen Flügeln in die Ewigkeit.
(Sara Vial)

Ich bin nie zur See gefahren und bin auch noch nie am Kap Hoorn gewesen, aber ich war am Ende der Welt ! Fin del Mundo, so nennen die Argentinier Patagonien und Feuerland, das rauhe Land am Ende der Welt.

Eine besondere Reise sollte dies werden, die Reise in ein neues Jahrtausend. Aufgebrochen waren wir im Dezember 1999, um das neue Jahrtausend, in der Ruhe und Abgeschiedenheit der Landschaft im Süden Argentiniens und Chiles zu begrüßen.

San Carlos di Bariloche, eine kleine Stadt in Zentralpatagonien, wo es ein bisschen aussieht wie in der Schweiz, ist das Sprungbrett ins Land der „großen Füße“. Das Wort Patagonien entstammt aller Wahrscheinlichkeit nach dem Spanischen. Gemeint waren die patas grandes der Eingeborenen, denn die Indianer umwickelten Ihre Füße zum Schutz gegen die Kälte mit Fellen.

San Carlos die Bariloche, ist das Zentrum im weitverzweigten Seen-Gebiet des Nahuel-Huapi-Nationalparks. Wer die Region erkunden will, reist mit der weißen Flotte der Ausflugsschiffe und sollte seinen Reisepass nicht vergessen, denn wir pendeln von See zu See zwischen Argentinien und Chile.

Lohnenswert ist ein Besuch von El Bolsón, mit dem phantastischen Bergpanorama des Piltriquitrón-Massivs im Hintergrund. Auf langen Wanderungen durch einsame Hochgebirgstäler findet man eine Flora, die trotz der widrigen klimatischen Bedingungen des borealen Regenwaldes bunte Blüten treibt. Für den Fotografen ein Fest an Formen und Farben.

Von Bariloche brechen wir am frühen Morgen auf nach Süden. In Esquel und dem nahen Nationalpark Los Alerces machen wir Station. Im Winter ist hier das Zentrum des alpinen Skisports in Argentinien. Am kommenden Tag erreichen wir abends Bajo Caracoles. Eine kleine Herberge mitten in der Pampa, bietet leider nicht genügend Zimmer für unsere kleine Gruppe; so sind wir gezwungen auch die Gänge und Flure als Nachtlager zu benutzen. Die Nacht ist kalt und kurz. Bereits um 5 Uhr sind wir unterwegs zu einer kleinen Anhöhe, von der man einen guten Blick auf die Wetterscheide Patagoniens hat, den 3706 m hohen San Lorenzo, der im fernen Chile liegt und im Licht der aufgehenden Sonne in einem zarten Rosa strahlt.

Als die Sonne die Kälte der Nacht vertreibt, machen wir uns auf den Weg zur Cueva de los Manos.Wir lassen unsere Landcruiser auf der Hochebene stehen und steigen hinunter in den zerklüfteten Cañon des Rio Pinturas. Tief und weit hinein geht es in die atemberaubende Schlucht. Plötzlich und unerwartet liegt sie vor uns, die Cueva de los Manos – die Höhle der Hände. Warum die Tehuelce-Indianer, die hier siedelten, seit dem 8. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung in dieser Höhle ihre Handabdrücke auf den Felswänden hinterließen, lässt sich nur erahnen. Für uns, sind sie eine nicht entschlüsselte, faszinierende Botschaft aus längst vergangenen Tagen.

Vom Tal des Rio Piñturas führt unser Weg weiter zum Lago Furioso, an dessen Ufer liegt in spektakulärer Landschaft die Estancia Serena, die wir als Rastlager für die Nacht ansteuern. In einem Halbkreis am Ufersaum hat der Estanciero kleine Schutzhütten gebaut. In der Mitte eine große Gaststube, vor der ein munteres Feuerchen prasselt über dem ein Zicklein am Spieß gebraten wird.

Am nächsten Tag schlagen wir die Ruta 40 in Richtung Osten ein. Die Schotterpiste schlängelt sich als schmales Band durch die Pampa, die mit hartem, lohgelbem Tussock-Gras bestanden ist. Rechts taucht ein weiterer der türkisgrünen Gletscherseen, der Lago Viedma auf. Als die Sonne ihren Zenith bereits überschritten hat, zeichnen sich schemenhaft am Horizont hohe Berge ab. Je näher wir kommen, desto deutlicher erkennt man die markante Silhouette des Cerro Fitz Roy. Dieser formvollendete Felsriese trägt den Namen von Robert Fitz Roy, dem Kommandanten der Beagle, auf der Charles Darwin um die Welt segelte. Ich halte den Atem an, denn an mehr als 200 Tagen im Jahr liegt der Berg in Nebel und Wolken, und zeigt sich gar nicht. Der zwischenzeitlich verstorbene französische Bergsteiger Jean-Christophe Lafaille reiste nach sechs Wochen Belagerung am Fuß des Berges mit dem lakonischen Bemerkung …“hier gibt es überhaupt keine Berge !“.

Wir haben uns in einer Pension in dem kleinen Dorf El Chalten in der Nähe des Fitz Roy und Cerro Torre einquartiert. Noch als es dunkel ist, bin ich am nächsten Morgen auf den Beinen. Als ich mich verschlafen durch den unbeleuchteten Speiseraum taste, schlage ich hin und ernte aus dem Dunkel ein Stöhnen, dem ein „Son of a bitch“ nachgeschoben wird. Auf dem Fußboden haben Bergsteiger, die keine Herberge gefunden hatten, ihr Nachtlager aufgeschlagen. Draußen ist es kalt und sternenklar. Es wird ein Morgen wie ein Traum. Von dem zuvor ausgekundschafteten Standpunkt liegen die Felsnadeln des Cerro Torre, des Torre Egger, des Fitz Roy und des Cerro Electrico in greifbarer Nähe vor mir. Es ist nicht die Höhe von nur etwas über 3000 m, die diese Berge so einzigartig macht, sondern die scharfen Felszacken und die fast senkrecht aufragenden Wände, die so schwer zu durchsteigen sind. Alpinisten aus aller Welt pilgern hier her, ans Ende der Welt. Fin del mundo !

Knapp 90 km von El Chalten entfernt liegt Calafate, das Tor zum Los Glaciares Nationalpark. Hier befindet sich eines der größten Naturwunder unserer Erde, – der Perito-Moreno-Gletscher. Seinen Namen verdankt dieser Gletscher dem argentinischen Naturforscher Francisco Moreno. Ungefähr alle vier Jahre schiebt der 60 km lange Gletscher seine fast 80 m hohe Zunge so nahe an das Ufer des Lago Argentino, dass er den See in zwei Teile teilt. Der Staudruck des Wassers wird dann so groß, dass der Wasserspiegel bis auf 17 m ansteigt. Das Wasser durchbricht die Gletscherzunge und in Sekundenschnelle ergießen sich Millionen Kubikmeter Wasser in einer Flutwelle aus Chaos und Eis in den Lago Argentino.

Als wir den Moreno-Gletscher verlassen, weht am Ufer eine kleine deutsche Flagge. Ich werde neugierig, mache mich auf und entdecke im hohen Gras einen halb überwucherten Gedenkstein der an Gunther Plüschow erinnert. Wer war dieser Gunther Plüschow ? In Deutschland ist er bekannt geworden als „Flieger von Tsingtau“. Nachdem das deutsche Pachtgebiet Tsingtau 1914 den Japanern in die Hände fiel, war Plüschow mit seinem Flugzeug nach Japan entkommen und nach einer abenteuerlichen Irrfahrt zurück nach Deutschland gelangt. Wie kommt nun sein Gedenkstein hierher nach Patagonien, ans andere Ende der Welt ? 1927 verfrachtete Plüschow sein Flugzeug auf einen kleinen Kutter und startete zu einer Expedition nach Südamerika. Er überflog als erster Feuerland und Kap Hoorn, stürzte hier am Lago Argentino ab und kam ums Leben. In dem Buch „Silberkondor über Feuerland“ beschreibt Plüschow die Ereignisse seiner verschiedenen Reisen in das Land seiner Träume.

Einer meiner Träume wird an diesem Tag wahr. Zurück in unserer Herberge, der Estancia Alice, färbt sich der Himmel über der Pampa an diesem Abend orange, blutrot, violett und bildet Windwolken – ein Naturschauspiel, das im Leben nicht vergisst, wer es sah.

Am folgenden Morgen brechen wir auf nach Cancha Carrera; hier verläuft die Grenze zwischen Chile und Argentinien. Kleine rote Schilder mit dem Totenkopf und der Aufschrift „Minas“ erinnern daran, dass auch diese beiden Länder, Krieg um Land geführt haben, in dem es den wenigen Menschen beiderseits der Grenze sicher egal ist welcher Staat ihre Steuern kassiert.

Nachdem die Grenzformalitäten erledigt sind, erreichen wir nach kurzer Fahrt den Nationalpark Torres del Paine, ein riesiges Naturschutzgebiet, in welchem die Türme des Paine Massives fingergleich nach den Wolken zu greifen scheinen. Die Hosteria Tyndall liegt inmitten der Seenplatte und läßt sich nur mit dem Boot zu erreichen. In der Nacht zieht ein Sturm auf, der mit aller Kraft am Gebälk des Holzhauses zerrt und uns kaum schlafen lässt.

Die Auffaltung des Paine-Gebirgszuges begann erst, nachdem die vulkanischen Aktivitäten erloschen waren; so tragen die Granitpfeiler heute schwarze Zipfelmützen aus Lava. Die Landschaft rund um den Lago Samiento und Lago Grey birgt einen großen, stillen Zauber. Südbuchen, Douglasien, Alercen und Araukarien sind die Bäume Patagoniens. Die hohen Niederschlagsmengen sorgen für ewiges Grün. An vielen Bäumen haben sich Moose und Flechten ihren Lebensraum erobert. Mancherorts sind die Bartflechten so üppig, dass sich ganze Geisterwälder gebildet haben. Auf den weiten Flächen der Hochebene stehen Guanakos und weiden das saftige Gras ab. Die Tiere zeigen wenig Scheu. Wenn man den Fluchtabstand einhält, kann man sich auf wenige Meter nähern. Der einzige große Räuber, der die Wälder Patagoniens durchstreift, ist der Puma, doch ihn wird man kaum zu Gesicht bekommen. Dafür gibt es viele kleinere Tiere zu entdecken, Nandus, Viscayas, den patagonischen Fuchs, und am Himmel den Condor, mit bis zu 3,20 m Spannweite, der größte Greifvogel unserer Erde.

Am Nachmittag steigen wir hinauf zum Grey-Gletscher. Der Wind hat aufgefrischt und Sturmstärke erreicht. Die kleine Hängebrücke, die einen Bach überspannt wird zum Schwebebalken. Am kiesbedeckten Ufer muss ich mich den Böen entgegenstemmen, die mit Windgeschwindigkeiten von über 100 km/h auch große Eisschollen aus dem Gletscherbruch über den Lago Grey treiben und ans Ufer werfen. Die Kamera trotz des schweren Stativs ruhig zu halten fällt schwer.

Tags darauf haben sich die Naturgewalten beruhigt, die Sonne durchbricht vereinzelt die Wolkendecke und wer früh genug aufgestanden ist wird belohnt durch ein zauberhaftes Licht- und Schattenspiel auf den teilweise von Nebel umwaberten Torres.

Unser nächstes Ziel ist Puerto Natales, der Weihnachtshafen, denn wir wollen mit der Fähre über die Magellan-Straße hinüber nach Feuerland. Puerto Natales ist ein verschlafenes Nest. Die Gegend lebt von den vielen Schaffarmen der Umgebung und ein bisschen Fischerei. Ab und an legen Kreuzfahrtschiffe hier an. Auf der Fahrt hierher, hat uns unser Freund Bruno, ein Schweizer, der schon ein halbes Jahrhundert in Argentinien lebt, von den köstlichen Sentosas – den Königskrabben – vorgeschwärmt, die in den kalten Küstengewässern gefangen werden. Enttäuscht sind wir, als im Restaurant des Hotels, das auf den imposanten Namen Atlantido hört, nur ein paar knochige Fleischstücke auf dem Grill liegen. Doch Bruno lässt das nicht gelten. Der sonst so bedächtige Schweizer beginnt mit dem Koch zu diskutieren. Die Diskussion wird lebhaft und lautstark. Am Ende droht Bruno „….wenn Du nicht kochst, was meine Gäste wünschen, zünde ich Dir die Bar an !“ Das hat gewirkt. Eine Stunde später werden Sentosa’s mit einer köstlichen Sauce und einem guten Wein aus dem Valle Cental serviert.

Am nächsten Morgen sind wir auf der Fähre und passieren die Magellañ-Straße. Ich stehe an der Reling und lasse mir den Wind um die Nase wehen. Grau ist der Himmel, die Wolken hängen tief. Es fällt nicht schwer sich vorzustellen, wie es hier ausgesehen haben mag, in jenen Tagen des Novembers 1520, als Fernando Magellañ hier nach der Passage um den südamerikanischen Kontinent suchte. Den Triumph muss man sich vorstellen. Ein Portugiese in spanischen Diensten, ein Schiff im Sturm verloren, ein weiteres durch Meuterei; die Männer von Skorbut gezeichnet, findet eine Passage vom Atlantik in den pazifischen Ozean. Er hat seinen Ruhm nicht ernten können, nur ein Jahr später wurde er von Eingeborenen auf den Philippinen erschlagen. So musste er auch nicht miterleben, wie die von ihm entdeckte Passage im Laufe der Jahrhunderte in die Bedeutungslosigkeit abglitt.

Wir sind in Feuerland angekommen. Tierra del Fuego nannten die frühen Entdecker dieses Land, an dessen Küsten sie in der Nacht die Feuer in den Eingeborendörfern von Ona- und Yamana-Indianer brennen sahen. Wir durchqueren ganz Feuerland und als wir uns am Abend Ushuaia nähern – der südlichsten Stadt auf dem südamerikanischen Festland – scheinen uns die Lichter der fernen Stadt fast so wie die Feuer der Indianer. Doch indianische Ureinwohner gibt es schon lange nicht mehr. Wie ihre indianischen Brüder im Norden, fielen sie der Zivilisation zum Opfer, dahingerafft von Krankheiten, die der weiße Mann eingeschleppt hat, Masern, Pocken und Syphilis.

Heute ist Ushuaia, die Hafenstadt am Beagle-Kanal, ein Ort für Militärs und Glücksritter. Von hier aus versorgt Argentinien seine Stationen in der Antarktis und sichert so seine Ansprüche auf dem sechsten Erdteil. Auch Prospektoren der großen Ölgesellschaften sind hier unterwegs. Es bleibt zu hoffen und zu wünschen, dass man mit dem sensiblen Ökosystem vorsichtig umgeht, aufhalten wird man den Menschen in seiner Gier ohnehin nicht.

Was der Mensch mit seinen Eingriffen in die Natur anrichten kann, sieht man nur wenige Kilometer von Ushuaia entfernt im Nationalpark von Lapataia. Im vergangenen Jahrhundert versuchten Unternehmer hier eine Pelzindustrie anzusiedeln und wilderten nordamerikanische Bieber aus. Das Unternehmen scheitere und ging bankrott. Die gefräßigen Nager machten einen Teil des Baumbestandes zu Kleinholz aber im Vergleich zur Ölindustrie sind die kleinen Bieber eher harmlos.

Mit dem Boot fahren hinaus in den Beagle-Kanal, vorbei am historischen Leuchtturm, geht es zu kleinen Felsinseln, die Heimat für Seelöwen und Seebären sind. Hunderttausende Seevögel haben hier Ihre Brutplätze. Felsenkormorane, Magellañ-Pinguine, Sturmvögel und Albatrosse ziehen hier ihren Nachwuchs groß.

Ansonsten bietet Ushuaia wenig. Eigentlich erstaunlich für einen Ort, der Start- und Zielhafen für viele Kreuzfahrten in die Antarktis ist. Hierher kommen Leute, die Geld haben. Die San Martin, ist die Einkaufsmeile, die Ushuaia von einem zum anderen Ende durchzieht. Allerlei Krims-Krams, den keiner braucht, wird hier feilgeboten. Typische Produkte der Region gibt es nicht. Ushuaia ist eine jener Städte, welche nur bei Nacht wirklich schön sind.

Als ich am letzten Abend an der Hafenmole stehe und in der Ferne den Positionslichter eines vorbeiziehenden Schiffes nachschaue -…….wohin mag es wohl fahren ? ……- denke ich an die vielen Eindrücke, einer Reise in ein neues Jahrtausend. Schließen möchte ich, wie ich begonnen habe, mit den Worten eines klugen Zeitgenossen.

„Let us probe the silent places, let us seek what luck betide us; – Let us journey to a lonely land I know. There’s a whisper on the night-wind, there’s a star agleam to guide us, and the wild is calling, calling …let us go“    (Robert W. Service)