„up, up and away in a beautiful balloon“
Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt ! Eine Reise nach Kappadokien hatte ich gar nicht im Sinn. Ich saß mit zwei befreundeten Fotografen aus der Schweiz in einem kleinen Nest im indischen Kerala. Wir hatten vielleicht schon den einen oder anderen Sundowner zuviel, und die Sonne war schon längst untergegangen als ich eine folgenreiche Wette einging. Wer virtuell ein wenig durch die GeoArt-Website bummelt kann viele exotische Bilder sehen; und so wettete ich, dass ich 365 Tage lang jeden Tag ein Bild zeigen und eine kleine Geschichte dazu erzählen kann. Und was machen Schweizer da? Sie sagen: „Top die Wette gilt!“ So entstanden im Laufe eines Jahres im Internetportal Fotocommunity 365 Bildgeschichten. Diese Internetplattform ist ein Präsentationsforum für Fotografie unterschiedlichster Art und Güte. Wer mag, kann zu den Fotos einen Kommentar abgeben und ein eben solcher Kommentar zu einem meiner Bilder kam von Evelyn Kopp aus Uçhisar. Evelyn betreibt in Uçhisar das Asmali Cave House, ein stilvolles Höhlenhotel. Die Idee, die dahinter steckt ist, eine Wiederbelebung alter Traditionen um die dem Verfall preisgegebenen Höhlenhäuser der Ur-Einwohner Kappadokiens zu erhalten und mit natürlichen Baumaterialen aus der Region wieder aufzubauen. Im Asmali Cave House sind so drei geschmackvolle Wohnsuiten entstanden, in denen man sich – nach langen Wanderungen oder Ausflügen ins Umland – einfach wohl fühlen kann.
Mit meinem Plan einer Fotoreise nach Kappadokien habe ich dann auch sozusagen „offene Türen eingerannt“. Gemeinsam mit einigen Freunden bin ich im September 2010 aufgebrochen. Die Jahreszeit ist ideal. Die Ferienzeit ist vorüber; es ist nicht mehr zu heiß und ideal zum wandern. Die Flugzeit von Istanbul nach Kayseri beträgt eine gute Stunde und in weiteren fünfundvierzig Minuten erreicht man Uçhisar.
Jesus Christ Superstar
Was hat Christus in einem Land zu suchen, das sich immer mehr von der Trennung zwischen Staat und Religion verabschiedet und sich wieder mehr und mehr an fundamental islamischen Werten orientiert ? Nur ein Jahr zuvor bin ich durch Syrien und Jordanien gereist. Im jordanischen Umm Qais, nicht weit von der syrischen Grenze entfernt, stand ich auf einer alten Römerstraße, die einst nach Damaskus führte. Ich erinnerte mich an lange zurückliegende Sonntage im Kindergottesdienst, an denen wir in Malbüchern Bilder aus der Bibel ausmalen durften. Ein Bild ist mir im Besonderen erinnerlich. Der liebe Gott schleudert einen Blitz auf einen Mann, der auf einer Landstraße kniet und in einer Sprechblase steht: „Saul, Saul warum verfolgst Du mich?“ Auf dieser Landstraße wurde Saulus zum Paulus. Das Wirken des Apostel Paulus ist eng mit den frühchristlichen Gemeinden in der heutigen Türkei verknüpft. So schreibt Paulus unter anderem an die Gemeinden in Galata und Cesarea. Dass in Kappadokien viele Christen heimisch waren, davon zeugen die vielen frühchristlichen Kirchen in Göreme, rund um Zelve und im Soğanli-Tal.
Die Kirchen im Freilichtmuseum von Göreme sind sicher die am besten erhaltenen und restaurierten, aber auch die meist frequentierten. Auch in der Nebensaison stauen sich hier die Busse mit Kurzausflüglern, die Kappadokien auf Ausflügen von Antalya oder Istanbul aus „nebenbei mitnehmen“. Wir entscheiden uns für die Kirchen im Soğanli-Tal, etwas abgelegener, wenig besucht, nicht so prächtig aber dennoch spektakulär. Das Tal kann man sich erwandern. Rechts und links der Talsohle, teilweise in nur geringem Abstand zueinander, findet man die Kirchen: Karabaş, Yilanli, Kubbeli, Sakli und St. Barbara. Herausragend ist die Yilani – Klilise, was übersetzt soviel heißt wie Schlangenkirche. In der Tat muss man ein Schlangenmensch sein, um sich durch den engen Eingang und die Durchlässe im Inneren zu quetschen. Die Innenräume der Höhlenkirchen sind schlicht. Nur wenig Licht fällt von außen hinein. Wie anders muss dieser Glaube gewesen sein – bescheiden, demütig; verglichen mit den hochfahrenden, prächtigen, Licht durchfluteten Kathedralen Europas. Von den Deckenfresken und Wandmalereien ist wenig geblieben. Islamische Bilderstürmer haben den Heiligen die Augen ausgekratzt und viele Jahrhunderte lang haben die Stätten inbrünstiger Frömmigkeit als Stallungen für Schafe und Ziegen herhalten müssen. Unergründlich bleibt, warum so viele Kirchen auf so engem Raum aus den Felsen geschlagen wurden, oftmals in Sichtweite zueinander.
Dort wo das Tal sich weitet, findet man eine jener charmanten türkischen Teestuben, wo die alten Männer bei einem Çay beisammen sitzen, Domino spielen und den Lauf der Welt – und sei es nur die kleine Welt Ihres Dorfes – diskutieren. Ich setze mich ein wenig abseits, schaue zurück ins Soğanli – Tal und sinne darüber nach, warum Christen und Muslime ihre Religion und Weltanschauung oftmals als so unvereinbar betrachten. Beim genauen Hinsehen gibt es mehr Verbindendes als Trennendes. Einen Satz des Propheten Mohamed könnten wir sicher alle unterschreiben:
Die Wege zu Gott sind so zahlreich, wie die Atemzüge des Menschen.
Schrei aus Stein…
…der Film von Werner Herzog hätte auch in Kappadokien gedreht werden können. Feenkamine, Felsnadeln, die wie Spargel gen Himmel ragen oder wie eine Eiscreme ein Sahnehäubchen tragen, sind vulkanischen Ursprungs. Neben den filigranen Spielereien der Natur haben die Erdkräfte jedoch auch massive Felsburgen, wie den bis auf 1460 m Höhe aufragenden Kale von Uçhisar, geschaffen. „Kale“ bedeutet im Türkischen soviel wie Burg. An klaren Tagen kann man von der Anhöhe den schneebedeckten Gipfel des Vulkans Erciyes sehen, der sich in fast 80 km Entfernung erhebt. Wer nach Kappadokien reist, der sollte Wanderschuhe im Gepäck haben, denn viele der landschaftlichen Höhepunkte muss man sich erwandern. An den Ortsrändern von Uçhisar und Göreme stauen sich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang die Reisebusse und speien Massen an Pauschaltouristen aus. Die armen Leute werden zu den Aussichtspunkten gekarrt, von welchen aus man in der Tat schöne Felsformationen bestaunen kann, wo sich aber leider auch die ganzen Verkaufsstände befinden, wo all jene Überflüssigkeiten angepriesen werden, mit denen zuhause die Verwandtschaft beglückt wird, und die dann in der Vitrine verstauben. Nein; wer so reist, der wird Kappadokien nicht entdecken.
Kappadokien muss man sich per Pedes erschließen. Ich will den geneigten Leser an dieser Stelle nicht mit langatmigen Beschreibungen langweilen, die kann man in einschlägigen Reiseführern nachlesen. Ein unbedingtes „must have“ ist aber ein Besuch von Çavusin. Çavusin ist ein kleines, verschlafenes Nest, an der Straße zwischen Avanos und Göreme, und hat in Teilen etwas von einer Geisterstadt. Das große Erdbeben von Erzerum im Jahr 1939 traf auch Çavusin mit voller Wucht, obwohl das Epi-Zentrum fast 700 km entfernt lag. Die Altstadt wurde so stark erschüttert, dass die Felsen den statischen Druck nicht mehr hielten und in den 60er Jahren eine Wohnstatt nach der anderen aufgegeben werden musste. Seither liegt sie in Trümmern. Von den Anhöhen hinter dem Ort, blickt in ein liebliches Tal mit gleichförmigen Felsformationen, in deren Höhlungen viele Taubenschläge gebaut wurden. Wer nach der Wanderung hungrig und durstig ist, sollte unbedingt bei Ayşe Rast machen. Ayşe ist so etwas wie eine Jeanne d´Arc für die Emanzipation der türkischen Frau. Sie hat sich ein kleines Restaurant aufgebaut und „schmeißt den Laden“ routiniert und gekonnt. Wie Ihr Restaurant heißt ? Ist doch klar Mustafa’ nin yeri ! Das heißt soviel wie Mustafas Platz; und ganz klar Mustafa, das ist ihr Mann.
„On the Rocks“ geht es auch weiter, in die Täler Kappadokiens. Felsnadeln und Feenkamine wohin man schaut. Im Pigeon-Valley zwischen Uçhisar und Göreme, im Devrent-, und Kizil Cukur-Valley, an den Zipfelmützentürmen in Paşabaği oder den Tuffstein-Formationen von Güllüdere, die man auch Rose-Valley nennt. Man kann sich nicht satt sehen an Formen, Farben und Strukturen, zwischen breiten Taleinschnitten und engen Schluchten. Erdgeschichtliches wechselt sich ab mit Zeugnissen früher Besiedelung. In schroffen Fels haben Menschen ihre Kirchen, Wohnungen und Stallungen gehauen; zum Schutz vor Feinden nutzten sie die natürlichen Gegebenheiten.
Wer jetzt meint der Kerl unterschlägt uns doch das schönste Tal, der hat Recht ! Doch dorthin kommen wir später. Wer nach einem langen Wandertag müde ist, sollte unbedingt bei Ismail einkehren. Ismail hat in einer der Felsnadeln in Uçhisar sein Restaurant gebaut, und serviert dort einfache, leckere, türkische Hausmannskost. Die Gaststube, das ist ein in den Fels gehauener Balkon in schwindelnder Höhe, der in Deutschland nie das vom TÜV vergebene Siegel „geprüfte Sicherheit“ erhalten würde. Zehn Personen haben hier Platz. Wir quetschen uns zu „fünfzehnt“ auf die Holzbänke, denn Evelyn hat neue Gäste. Ein Filmteam des ARD-Studios Istanbul dreht einen Beitrag über Deutsche, die im Ausland eine neue Heimat gefunden haben. Es wird ein lustiger Abend mit nachdenklichen Anklängen. Mit dem Korrespondenten Michael Schramm, der erst kürzlich nach Istanbul versetzt wurde, verbinden mich gemeinsame Freunde. Wir diskutieren über die Qualität von Fernsehen und Printmedien, über Programmgestaltung und Bildungsauftrag. Erst vor wenigen Tagen hat in der Türkei ein Referendum stattgefunden, das wir in Deutschland (wenn wir es überhaupt wahrnehmen) als eine Abstimmung für oder gegen das Kopftuch einordnen. Wir neigen zur Simplifizierung, denn im Grunde war es eine unnötige Verfassungsreform, die anti-demokratische Züge trägt; – unter anderem bindet sie die bisher relativ unabhängige türkische Justiz enger an die Politik.
Zum Filmteam gehören die Produktionsassistentin Müge der Tonmann Sener und Meser, der Kameramann. Es ist eine Multikulti-Truppe. Müge und Selim sprechen blendend deutsch. Kein Wunder, denn beide sind in Deutschland geboren und aufgewachsen. Da sie für ihr persönliches und berufliches Fortkommen in unserem schönen Land keine Perspektive sahen, sind sie in Ihre Heimat zurückgekehrt. So sieht Integration und Fachkräftemangel in der Realität aus.
Mit einsetzender Dunkelheit werden die Feenkamine von Uçhisar an normalen Tagen mit Scheinwerfern angestrahlt. Heute liegt alles im Dunkeln. Ismail, der Wirt ist erbost, gehört die Lightshow doch zu den Attraktionen seines „Panorama-Restaurants“. Wütend ruft er den Bürgermeister an und beschwert sich: „Mach’ Licht. Das Fernsehen ist da !“ – Und kurz darauf blicken wir in eine erleuchtete Märchenwelt.
Privilegierte Partnerschaft !
Eine schwierige Frage, für deren Lösung es keine verbindlich richtige oder falsche Antwort gibt. Der türkischstämmige Kabarettist Django Asül hat die von der Bundeskanzlerin beschworene „privilegierte Partnerschaft“ einmal wie folgt beschrieben: „privilegierte Partnerschaft, das ist so etwas wie Homo-Ehe. Hast Du schon mal Türken gefragt: willst Du Homo-Ehe ? Warum tun wir Deutschen uns in unserem Verhältnis zu den Türken so schwer; fühlen wir uns doch auf Reisen in die Türkei pudelwohl ? Die Gründe sind vielschichtig und auf beiden Seiten hat man viele Chancen vertan Fehler aus der Vergangenheit zu korrigieren. Nach Deutschland haben wir türkische Gastarbeiter geholt, die jene Arbeit tun, die Deutsche nicht mehr tun wollen. Dies führte dazu, dass Menschen kamen, die es in ihrer Heimat auch schon schwer hatten, die zum Teil aufgrund geringer Bildung in Ihrem eigenen Vaterland keine Perspektive für sich sahen und die Rückkehr fest im Blick hatten. Wie Deutsche, die in der Fremde leben, Kontakt zu ihren Landsleuten suchen, ist das bei den Türken nicht anders. Die Türken blieben unter sich. Eine isolierte Gemeinschaft, oder wie wir es heute auf neudeutsch ausdrücken, sie bildeten eine Parallel-Gesellschaft. Auf der anderen Seite sendet der türkische Staat, oder besser gesagt senden die Regierenden in der Türkei deutliche Zeichen in Richtung Europa, dass man ein anderes Werteverständnis habe. Wer in seine Werte vertraut, der kann Toleranz für anders Denkende und anders Gläubige üben. Zu einem weltoffenen Staat gehört ein toleranter Umgang mit Minderheiten, wie den Kurden, eine aufgeschlossene Haltung gegenüber anderen Religionsgemeinschaften (wer auf der Basis der garantierten Religionsfreiheit unseres Grundgesetzes Moscheen in Deutschland errichtet, muss auch christliche Kirchen in der Türkei akzeptieren), eine liberale Umsetzung der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Und nicht zuletzt das Eingeständnis und die Korrektur historischer Fehler, wie die Beilegung der Fehde mit dem Nachbarn Griechenland oder das Eingeständnis des an den Armeniern begangenen Unrechts. Nein, so leid es mir tut, mit den Problemen, die Europa zur Zeit ohnehin schon belasten, kann es die Schwierigkeiten, die eine Aufnahme der Türkei in die Europäische Union mit sich bringen würde, nicht schultern.
foto çekebilir miyim ?…
…das heißt soviel wie: „darf ich Sie fotografieren ?“. Auch wenn in der Türkei Gastfreundschaft groß geschrieben wird; wenn man als Fotograf unterwegs ist, gebietet es Anstand und Höflichkeit, dass man fragt, bevor man auf den Auslöser drückt, vor allem wenn man muslimische Frauen ablichten möchte. Selten ist meine Bitte abgelehnt worden, und wenn, dann muss man das akzeptieren. Den größten Gewinn auf meinen Reisen ziehe ich für mich aus den Zusammentreffen mit Menschen, aus den kleinen Geschichten am Rande, an die man sich erinnert, wenn man das Foto dieses Augenblicks wieder betrachtet. Der von mir sehr verehrte Antoine de Saint Exupéry hat einmal geschrieben: „die schönste Freude erlebt man immer da, wo man sie am wenigsten erwartet“. Als wir am späten Nachmittag nach einem Ausflug wieder ins Asmali Cave House zurückkehren haben die Nachbarn von Evelyn, Nurdan und Mehmet, den Backofen vor ihrem Haus angeworfen. Mehmet heizt den Ofen mit Reisig und Nurdan formt aus Wasser, ein wenig Salz und Mehl die Brotfladen. Das ist eine schweißtreibende Arbeit und es dauert, bis der Ofen so richtig auf Temperatur ist. Es kommt mir das Bibelwort in den Sinn: …“im Schweiße Deines Angesichts sollst du dein Brot verdienen“. Als die ersten Brotlaibe aus dem Backofen kommen, zieht ein unvergleichlicher Duft durch die enge Gasse. Der tschechische Nobelpreisträger Jaroslav Seifert hat dies in einem seiner Essays einmal so beschrieben: „Der Geruch des Brotes ist der Duft aller Düfte. Es ist der Urduft unseres irdischen Lebens, der Duft der Harmonie, des Friedens und der Heimat“.
Wer das ursprüngliche Kappadokien erleben will, der muss in die Dörfer gehen. Jetzt im Herbst ist Erntezeit und es werden Vorräte für den bevorstehenden Winter werden angelegt. Auf einer unserer Wanderungen machen wir Mittagsrast in der kleinen Ortschaft Maziköy. Nicht weit vom Ortskern entfernt flackert ein kleines Feuer, auf dem ein großer Topf mit Bulgur brodelt. In einem Hinterhof sitzen Mütter mit ihren Kindern und pellen getrocknete Bohnenkerne aus der Schale. Ich frage: „foto çekebilir miyim ?“, aber die Frauen schütteln den Kopf. Trotzdem verweile ich noch ein wenig und befriedige die Neugier der Kinder. Dass dabei auch das eine oder andere Kinderportrait entsteht versteht sich, und es kommt dann wie es immer kommt. Der Schlüssel zum Herz einer Mutter führt über die Kinder. Die Mütter nehmen ihre Kleinen in den Arm und lassen sich zusammen ablichten. Das ist die große Stunde digitaler Fotografie. Der Portraitierte kann sich selbst sehen, was immer erheiternd ist. Und so haben wir zusammen viel Spaß, bis eine der Damen sich erhebt und sagt: „Wisst Ihr was, ich lade Euch ein. Kommt zu mir nach Hause auf ein Glas frischen Ayran – und ich zeige Euch wie wir leben“. Eine solche Einladung abzulehnen wäre zutiefst unhöflich, ja geradezu beleidigend. Auch im Hof vor Fatma’s Haus wird geköchelt. Ihre Töchter kochen Salça, die würzige Tomatensauce, die den Grundstock vieler leckerer türkischer Gerichte bildet. Fatmas Mann ist Kartoffelbauer und baut gerade einen Kartoffelkeller, der so groß ist, dass man mit großen Lastwagen hineinfahren kann. Einen Teil des Kellers nutzt er für die eigene Ernte, den Rest des Lagerraums vermietet er an die Nachbarn. Fatma kommt mit dem Ayran und einem Tablett reifer Birnen. Eine gefährliche Mischung aber lecker. Wir sitzen auf der Treppe vor dem Haus, reden über Gott und die Welt. Es bleibt die Erkenntnis, dass Ayran & Birnen nicht automatisch einen durchschlagenden Erfolg haben müssen und das wir Menschen uns verstehen, wenn wir uns nur ein wenig Mühe geben.
up, up and away…
…in a beautiful balloon. So heißt es in einem Schlager aus der Flower-Power-Zeit. Für das Ballonfahren am kappadokischen Himmel wird viel Werbung gemacht. In den letzten fünfzehn Jahren haben sich viele Firmen etabliert und das Unternehmen „Ballonfahren“ ist straff durchorganisiert. Trotzdem wird dem Erlebnis nichts von seiner Faszination genommen. Wir haben bei Kapadokya Ballons eingecheckt und werden weit vor Sonnenaufgang mit dem Shuttlebus abgeholt. Nachdem wir beim Check-in in Göreme unsere Bordkarten abgeholt haben, steuern wir ein abgeerntetes Kürbisfeld nahe Ürgüp an. Hier stehen drei Körbe und die Crews sind schon dabei die Ballonhüllen auszulegen. Die Brenner werden angeworfen und ein Propeller lenkt die heiße Luft in die Hülle. Alle Handgriffe erfolgen besonnen und routiniert und nach gut dreißig Minuten hebt Graham, unser Pilot, mit uns ab. Als die Sonne über die Felskämme klettert stehen am Himmel mehr als vierzig Ballons in den verschiedenen Farben der einzelnen Ballooning-Unternehmen. Wir steigen auf und gleiten über Felder; unter uns liegen in glatt gerechten Kiesflächen, Weinstöcke und aufgehäufte Kürbisse. In der Ferne sieht man den machtvollen Burgberg von Uçhisar, den „Kale“. Graham betätigt den Brenner. Flammen schlagen aus den Düsenstöcken, erwärmen die Luft und der Ballon steigt weiter. Wir nähern uns Çavusin und können die Landschaft, die wir zu Fuß erkundet haben von oben entdecken. Langsam senkt sich der Ballon über eine Felskante, und wir treiben ins Love-Valley hinein. Graham steuert das Ungetüm mit Präzision, Virituosität und der Leichtigkeit als sei es ein Fahrstuhl. Wir sinken zwischen die Felsnadeln und steigen wieder auf, wie in einem Lift. Schroffe Felsen und andere Ballons sind zum Greifen nahe. Die Ballonfahrt in der grandiosen Landschaft ist ein Erlebnis, das man nie vergisst. Nach anderthalb Stunden landen wir sanft auf einem Feld. Die anschließende Zeremonie mit Champagner und Kuchen bringt uns ein wenig zurück in die lärmende Welt der Menschen und weg von der himmlischen, majestätischen Ruhe am Himmel.
Am nächsten Tag heißt es Abschied nehmen von Kappadokien. Bevor uns der Flieger wieder zurück nach Deutschland bringt, wollen wir am frühen Morgen noch einen Ausflug ins Love-Valley machen. Frühes Aufstehen ist angesagt, will man als Fotograf erleben, wie das erste zarte Morgenlicht die Felsspitzen streift. Kurz hinter Göreme biegt man in einen Feldweg ab und folgt diesem bis zum Taleingang.
Schon aus der Ferne sieht man die einzigartigen Felsnadeln gen Himmel ragen. Ich höre das vertraute Rauschen eines Brenners und sehe einen Ballon ins Tal hinabsteigen – und dann kommen sie. Ich zähle 1, 2, 3, 4 und am Ende stehen mehr als fünfzehn bunte Ballons im Tal. Ich habe das Stativ aufgebaut. Es entstehen Bilder, die, wenn man sie aneinanderreihen würde, einen richtigen Kurzfilm ergeben würden. Zwischen zwei Felstürmen nähert sich ein Ballon in den blau/gelben Farben von Kapadokya Balloons, mit dem wir gestern noch durch die Lüfte glitten. Tatsächlich ist es Graham, der mich erkennt und mir zuruft: …“vergiß nicht mir ein Bild zu schicken !“
Wir sind am Ende unserer Reise angelangt und ich will mich bedanken. Mein Dank gilt Evelyn Kopp, die uns eine Woche lang unermüdlich die Schönheiten ihrer zweiten Heimat gezeigt hat. Zafer, der uns die Höhepunkte des Soğanli-Tales näher gebracht hat. Ikbal, den guten Geist des Asmali Cave House, die uns vorzüglich umsorgt hat. Unsere „Fahrzeuglenker“ Mustafa und Graham, die uns zu Lande und in der Luft begleitet und sicher an unser Ziel gebracht haben. Und nicht zuletzt gilt der Dank meinen Freunden, die mich seit vielen Jahren bei meinen fotografischen Unternehmungen begleiten und ohne die eine Fotoreise langweilig wäre, weil es nichts zu lachen gebe !
Während ich dies schreibe, ist es Winter geworden. Draußen schneit es in dicken Flocken und die Welt ist in ein weißes Kleid gehüllt. Ich denke zurück an die sonnigen Tage in Kappadokien und bin gewiss, dass wir uns dort wieder sehen; nächstes Jahr im Juni, zur Aprikosenernte. Bis dahin bleibt mir das Träumen.
„Die Träume eines Menschen, der viel gereist ist, sind reicher als die eines Menschen , der niemals verreist war.“ (Henri Matisse)