Venedig – Sechs Seelen – Sieben Leben

Venedig; – oft totgesagt und doch am Leben. Auch wenn es immer mehr Venezianer aufs Festland zieht, trotzen noch 60.000 Bürger dem berüchtigten Acqua Alta und dem nie zu enden scheinenden Besucherstrom. Die sechs Seelen Venedigs das sind die sechs Stadtteile die den Pulsschlag der Serenissima bestimmen. Serenissima das bedeutet soviel wie „die Heitere“ oder „die Erlauchte“ und wenn man beides addiert stimmt der Beiname ganz sicher auch. Der hektische Pulsschlag von San Marco ist eben ein anderer, als der geruhsame des Canareggio. Venedig ist immer eine Reise wert; – zu jeder Jahreszeit. Im Februar erst war ich zum Karneval dort. Jetzt im Winter wenn die Tage kürzer werden, sich keine Kreuzfahrtschiffe mehr durch den Giudecca-Kanal schieben und die Touristen aus einer Masse wieder zu Individuen werden, möchte ich in das mysthische, leichte morbide Venedig eintauchen. Im Zug von München nach Venedig nehme ich Joseph Brodsky’s „Ufer der Verlorenen“ zur Hand. Der Nobelpreisträger hat Venedig so sehr geliebt, dass er dort begraben werden wollte. Sein Grab auf der Friedhofsinsel von San Michele will ich besuchen. Noch bevor der Zug in den Bahnhof von Santa Lucia einfährt, lese ich:

„So manchen Mond ist es her, dass der Dollar 870 Lire wert und ich 32 Jahre alt war. Die Erde war damals um zwei Milliarden Seelen leichter, und die Bar in jenem Bahnhof, wo ich in einer kalten Dezembernacht ankam, war leer. Ich stand da und wartete darauf, dass der einzige Mensch, den ich in der Stadt kannte, mich abholen kam…“

Schöner als Joseph Brodsky kann man seine Ankunft in Venedig wohl nicht beschreiben.

Mit Taktstock und Pinsel – Kunst für Kulturbanausen

Wer Bellini für einen Aperitif aus Prosecco und weißem Pfirsichmark hält und Carpaccio für ein dünn aufgeschnittenes Rinderfilet, der hat zwar nicht grundsätzlich unrecht, muss sich aber vielleicht von seinen Zeitgenossen als Kulturbanause beschimpfen lassen. Bellini und Carpaccio gehören selbstverständlich zu den bedeutenden Pinselschwingern Venedigs, sind aber nur zwei aus der Gilde der großen Malerfürsten. Tizian, Tiepolo, Tintoretto und nicht zuletzt der grandiose Vedutenmaler  Canaletto; – allesamt Venezianer. Wer Canalettos Bilder betrachtet könnte auf den Gedanken kommen, dass die Photographie ihren Ursprung schon im 18. Jahrhundert hatte, so fein und detailreich ist die Darstellung von der Hand des Meisters. Wer Venedig kennt, wird manchmal schmunzeln, da auch die allergrößten Könner ein wenig mit der Perspektive schummeln – Das ist ein wenig Photoshop der Renaissance ;-)). Aber auch andere „Genies“ kamen aus Venedig. Der große Forschungsreisende Marco Polo war Bürger der Handelsmetropole. Ganz gleich ob man zu den Anhängern der Theorie gehört, Marco Polo sei nie in China gewesen, oder ob man die Schilderungen aus seiner Reisebeschreibung „Il Millione“ für bare Münze nimmt, ob er die Chinesische Mauer je gesehen hat oder die Nudeln nach Italien gebracht hat; – er gehört zu den großen Söhnen der Stadt. Ein großer Literat war er nie. Seine Lebenserinnerungen diktierte er in genuesischer Kriegsgefangenschaft seinem Mitgefangenen Rustichello da Pisa in die Feder. Geglaubt hat man ihm nicht. Noch auf dem Sterbebett soll er seinem Beichtvater gestanden haben: „Ich habe nicht die Hälfte dessen berichtet, was ich gesehen habe“. Die zugereisten Dichter und Schreiber späterer Tage, von Thomas Mann über Josef Brodsky bis hin zu Donna Leon waren und sind da erheblich produktiver, prosaischer und kreativer. Heute ist Marco Polo in Vergessenheit geraten, sein Ruhm längst verblasst. Nur eine Plakette an einem Haus in Castello erinnert noch daran wo er einst lebte. Die meisten halten nicht ihn, sondern Commissario Brunetti für den berühmtesten Venezianer. Für mich ist der bedeutendste Venezianer einer für alle „Jahreszeiten“. Der geniale Komponist und Musiker Antonio Vivaldi. Eine schillernde Persönlichkeit im wahrsten Sinne des Wortes. Feuerrot soll sein Schopf gewesen sein. Theologie hat er zunächst studiert und die Priesterweihe empfangen. Für amouröse Abenteuer soll er immer zu haben gewesen sein. Mehr als 500 Werke stammen aus der Feder dieses genialen Musikers, dessen Melodien die Bühnen der Welt eroberten und bis in unsere Tage erklingen.

Gast, Gastronomie, Gastritis

Über nichts lässt sich trefflicher streiten als über Geschmack und gutes Essen. Italien hat Europa nach dem Krieg verändert. Gastarbeiter brachten Pizza und Pasta auf unseren Küchentisch und in die Restaurants. Eine einfache, nahrhafte und wohlschmeckende Küche. So etwas findet man auch in Venedig, aber man muss zunehmend länger danach Ausschau halten. Subjektiv betrachtet scheint mir, dass sich die venezianische Restaurantwelt fest in asiatischer Hand befindet. Das ist wie fast überall im Gastgewerbe dem Lohnniveau geschuldet, das mittlerweile so tief gesunken ist wie das Niveau manches Restaurants. Der Koch aus Bangladesh oder Sri Lanka hat eben seine eigene Vorstellung von italienischer Küche, und dem Völkergemisch das sich zu allen Jahreszeiten durch die Gassen rund um San Marco schiebt kommt es weniger auf Genuss denn auf Sättigung an. Aber es gibt sie noch, diese kleinen und großen kulinarischen Inseln  venezianischer Gastlichkeit. Ein Fixpunkt auf meinen Streifzügen durch die Stadt ist immer die Enoteca Al Bottegon, eine gutsortierte Weinhandlung und Stehbar. Hier herrscht um die Mittagszeit immer Betrieb. Mehr Einheimische als Touristen. Immer ein Gütesiegel. Hier genießen die Arbeiter von der gegenüber liegenden, Gondelwerft, – der letzten Venedigs, – ein Ombra Wein und leckere Cichetti, ebenso wie der Galerist aus San Barnaba oder die Eleven des nahegelegenen Lyzeums. Ein überschaubares Vergnügen. Ombra heißt übersetzt „ein Schatten“; – Ein kleines Glas Wein, das man sich zur Mittagspause gönnt. Spätestens nach dem zweiten oder dritten Glas kommt man ins Gespräch. Nicht immer einfach, denn die Venezianer fühlen sich von den Besuchermassen erdrückt. Wen wundert’s ?  Mehr als 30 Millionen Reisende strömen jedes Jahr in die Stadt. Dagegen sind die Venezianer eine Minderheit und fast schon im Aussterben begriffene Spezies.

Abends auf einen Sprizz ins Caffè Florian ! Was gibt es schöneres ? Ein muss für jeden Venedig-Besucher. Das Florian; – eine Institution ! Der Kaffeehändler Floriano Francesconi eröffnete am 29. Dezember 1720 sein kleines Kaffeehaus in den Arkaden des Procuratie Nuove, nahe dem Dogenpalast. Damals trug das kleine Cafe noch den Namen „Caffé alla Venezia Trionfante“. Erst viel später, nach seinem Tod, bekam das Kaffeehaus den Vornamen seines Gründers. Zu allen Zeiten war das „Florian“ Treffpunkt für illustere Gäste. Schon Casanova soll hier verkehrt haben. Nach dem napoleonischen Intermezzo fiel Venetien als Folge des Wiener Kongresses an die Habsburger. Eine ungeliebte Besatzungsmacht. In den Hinterzimmern des „Florian“ trafen sich die Revolutionäre, die die Unabhängigkeit Venedigs von Österreich-Ungarn betrieben. Seinen Kaffee im „Florian“ zu nehmen war quasi patriotische Pflicht, denn im gegenüberliegenden Caffé Quadri verkehrten die österreichischen Offiziere und mit denen hätte man sich nie an einen Tisch gesetzt.

Für einen Cafe- oder Barbesuch in Venedig gelten besondere Spielregeln und die sollte jeder Besucher kennen. Ein Capuccino über den Tresen ist mit 3,– € noch ein preiswerter Genuss, wer sich an einem der vernickelten Kaffeehaustischchen niederlässt, zahlt für das gleiche Heißgetränk bereits 6,– € und spielt dann in der warmen Jahreszeit in den Cafes auf dem Markusplatz noch die Musik dazu, darf man gut und gerne 12,– € berappen.  Trotzdem; – man muss es erlebt haben, denn das „Florian“ ist der Logenplatz im großen Theater Venedig.

Ein Hort besonderer Gastlichkeit ist mein Lieblingsrestaurant, das „Ae Sconte“ am Corte Perini einer kleinen Seitengasse am Campo San Lio. Hier ist man noch Gast und wird freundlich begrüsst. Hier empfängt einem nicht das Plastiklächeln eines genervten Cameriere der den Gast schon beim Eintreten ins Restaurant auf die Höhe des zu erwartenden Trinkgelds taxiert. Hier steht ehrliche venezianische Küche auf der Speisekarte. Was auf dem Teller liegt steht noch im Einklang mit der Höhe der Rechnung. Das Ganze serviert mit rauem, herzlichem, venezianischen Charme.  Salute ! – Wohl bekomm’s !


Itinerari segreti – Geheime Wege…

Zugegeben, ganz so geheim sind die Wege nicht. Man muss nur losgehen und dann findet man in Venedig große Historie genauso wie kleine Histörchen. Ein solcher Ort des kleinen Glücks ist für mich die Libreria Acqua Alta in der Calle Lunga Santa Maria della Formosa. Die Buchhandlung ist ein Kuriosum. Hier findet man alles über Venedig was man nicht einmal zu träumen wagte und das in allen Sprachen. Luigi ist das Faktotum des Literaturtempels der eher einem Bootsschuppen als einem Buchladen gleicht. Passend dazu hat Luigi eine alte Gondel in den Raum gezwängt, die er statt Regalen für seine Bücher nutzt. Auf den Borden an den Wänden der vielen Nebengelasse stapeln sich die Schmöker genauso wie in zahlreichen Badewannen, die Luigi aufgestellt hat um seine Bücher bei Acqua Alta buchstäblich vor dem Untergang zu bewahren. Was dann trotz des skurrilen Hochwasserschutzes doch einmal naß geworden ist, dient als Stütze für die elektrischen Leitungen. Luigi spricht ein passables deutsch und wenn er sich nicht gerade um eine seiner vielen Katzen kümmert, lässt sich angenehm mit ihm plaudern; – und zum Schluß verlässt man die Buchhandlung auch nicht ohne Buch, auch wenn die Feuchtigkeit die vom nahen Kanal heraufkriecht die Seiten schon hat wellig werden lassen. Schräg gegenüber von Luigis Buchladen ist das Papier Màché. Eine Manufaktur in der noch Masken in traditioneller Handarbeit verfertigt werden.  Man kann den Handwerkern und Künstlern bei der Arbeit über die Schulter schauen. Ein Stück Venedig zum mit nach Hause nehmen, an dem sich einmal nicht das Schildchen „Made in China“ findet.

Von Venedigs „gläsernem Herz“ in die Totenstadt

Irgendwann muss man auf Murano gewesen sein. Die kleine Insel vor den Toren der Lagunenstadt ist das „gläserne Herz“ Venedigs. Glas; – dieses durchsichtige und zerbrechliche Medium dass über Jahrhunderte Markenzeichen und bedeutendstes Handelsgut Venedigs war. Bis auf den heutigen Tag gibt es zahlreiche Glasbläsereien auf Murano. Die ältesten Dokumente über das Geheimnis der Glasherstellung in Venedig reichen zurück bis ins Jahr 982. Wegen der vielen Brände welche die Glasschmelzen verursacht hatten ordnete der Doge Pietro Gradenico im Jahr 1295 deren Umsiedlung auf die Insel Murano an. Ein bemerkenswerter Schritt den Murano gehört offiziell erst seit 1924 zu Venedig. Den Glasmachern von Murano war es bei Androhung der Todesstrafe verboten ihr Wissen weiterzugeben. Eine drakonischer „früher Patentschutz“. Wer heute durch die Gassen von Murano schlendert, wird in den Schaukästen und Vitrinen der Glasmanufakturen allenthalben den deutlichen Hinweis finden, dass die zerbrechlichen Kunstwerke nicht aus dem „Reich der Mitte“ stammen, sondern Handmade und Original-Murano sind. So mancher Venezianer ganz gleich ob auf Murano oder im Centro Storico wünscht sich sicher das die vielen Plagiate aus China die in den Geschäften rund um Sankt Marco verkauft werden, auch mit der Todesstrafe geahndet würden. Nicht alles was unsere schöne, globalisierte Welt hervorbringt ist zu unserem Vorteil. Manchmal ist die Rückbesinnung auf althergebrachtes, traditionelles zwar weniger und doch haben wir Menschen davon mehr.

Auf dem Rückweg von Murano legt das Vaporetto der Linie 4.1 auf San Michele an.  Auf dem größten Friedhof Venedigs will ich das Grab von Josef Brodsky besuchen. Der Literaturnobelpreisträger wurde im Jahr 1972 von der kommunistischen Führung aus der Sowjetunion ausgebürgert. Nachdem man ihm alle Manuskripte abgenommen hatte, setzte man ihn kurzerhand in ein Flugzeug nach Wien, wo er mit einem Koffer und 50 $ in der Tasche ankam. Venedig wurde seine Schicksalsstadt, wahrscheinlich weil die Stadt im und am Wasser liegt und ihn sehr an seine Heimatstadt St. Petersburg erinnerte. Auch wenn Brodsky im Jahr 1977 die Staats-bürgerschaft der USA annahm, war Venedig so etwas wie seine geistige Speisekammer. Jedes Jahr im November kehrte er auf einige Wochen zurück. Es war sein letzter Wunsch, auf San Michele zur ewigen Ruhe gebettet zu werden.

Endlos sind die Grabreihen. San Michele ist eine wahre Totenstadt mit richtigen Stadtvierteln, welche die im Tod vereinten wieder trennen. Je nach Bekenntnis kann der Dahingeschiedene ins Stadtviertel „römisch-katholisch“, „griechisch-othodox“ oder „protestantisch“ einziehen. Hier liegen neben den Komponisten Igor Strawinsky und Emanno Wolf-Ferrari, Dichter wie Josef Brodsky und Ezra Pound aber auch Fußballgrößen wie Helenio Herrera begraben. Meine Aufmerksamkeit wird von einem Grabstein angezogen an dem ein paar rosafarbene Ballettschuhe baumeln, in die einige im verwelken begriffene Margeriten gesteckt sind. Das Grab von Serge Djagilew; – ein Unbekannter tritt unvermittelt in mein Leben. Wer war dieser Mann ? Wie Josef Brodsky, war er eine verlorene russische Seele die in Venedig eine neue Heimat fand. Heute würde man ihn einen Impressario nennen. Er war nicht der Begründer des russischen Balletts, aber er hat die russische Ballettkunst weit über die Grenzen seines Heimatlandes hinaus bekannt und populär gemacht. Die Ballettschuhe tragen eine Inschrift. Die Schüler der Ballettschule von Ekaterinburg, die heute den Namen Djagilews trägt haben ihren Förderer nicht vergessen. Während ich meine Schritte in Richtung Ausgang lenke fällt mir Satz von Bertolt Brecht ein der mir sehr gut zu passen scheint: „Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt“

lieber Aquavit als Acqua Alta !

Jahrhunderthochwässer haben wir in den letzten Jahren in Deutschland viele erlebt. Elbe, Donau, Oder und Rhein sind im letzten Jahrzehnt fast schon regelmässig über die Ufer getreten. Die Schäden gingen in die Milliarden, das menschliche Leid durch verlorengegangene Existenzen war groß. Man muss konstatieren das uns „Jahrhunderthochwässer“ wohl alle paar Jahre heimsuchen. Venezianer haben dafür nur ein müdes Lächeln übrig. Das winterliche Hochwasser kann die Stadt mitunter täglich heimsuchen, wenn bei besonders starker Flut, Neumond und niedrigem Luftdruck der Scirocco das Wasser landeinwärts in die Lagune drückt, läuft Venedig voll wie eine Badewanne. Das Hochwasser kommt und geht mit den Gezeiten. Als ich in den ersten Novembertagen in die Stadt komme strahlt die Sonne vom Himmel und es ist frühlingshaft warm. Doch der „laue Frühlingstag“ ist trügerisch. Überall sind Stege aufgebaut. Das Hochwasser steht bei 1,25 m, dies bedeutet, das mehr als 10% des historischen Stadtkerns unter Wasser stehen. Der Markusplatz der nur gut 70 cm über N.N. liegt, steht knapp einen halben Meter unter Wasser. Das Hochwasser drückt sich langsam und schleichend durch die Abwasserkanäle nach oben. Auf den Stegen drängen sich die Touristen. Schuhgeschäfte die Gummistiefel im Sortiment führen haben Konjunktur. Die fliegenden Händler die, die blauen, gelben oder orangen Einwegüberzieher verkaufen, jubeln. Die Kellner im Caffé Lavena stehen gelassen in Watstiefeln inmitten von Tischen und Stühlen und diskutieren darüber wie Milan gespielt hat, oder was einige unentwegte Touristen die sich trotz Hochwasser niedergelassen haben, wohl bestellen mögen. Acqua Alta ist  „das Aquavit“ Venedigs. Aquavit heißt Lebenswasser; – es pulsiert durch die Adern Venedigs, erhält den Kreislauf des Lebens aufrecht. Nach einigen Stunden, wenn die Ebbe einsetzt, weicht das Wasser wieder und das große Aufräumen beginnt. Als der Spuk vorüber ist kehre ich auf einen Espresso ins Gran Café Chiogga gegenüber dem Dogenpalast ein. Mauro, den Oberkellner, kenne ich seit Jahren. Er spricht perfekt deutsch mit leichtem Ruhrgebietseinschlag und ist Fan von Borussia Dortmund. Wen wundert‘s, hat er doch viele Jahre im Ruhrpott gearbeitet. Mich interessiert, was es mit dem M.O.S.E Projekt auf sich hat. M.O.S.E. das ist ein derzeit im Bau befindliches Flutschutzwehr das die Lagune bei drohendem Hochwasser verschließen und das historische Zentrum vor Acqua Alta schützen soll. Weißt Du sagt Mauro: „Wir Venezianer leben schon seit Jahrhunderten mit dem Hochwasser, haben es immer getan. Das Flutwehr ist auch wieder so ein Projekt mit dem sich korrupte Bauunternehmer und Politiker die Taschen füllen.“ Er macht eine ummißverständliche Handbewegung und spricht weiter: „Die sollten lieber die Durchfahrt der großen Kreuzfahrtschiffe durch den Giudecca-Kanal verbieten. Die fahren auf wenige Meter am Markusplatz vorbei und unterspülen durch den Wellengang die Uferbefestigungen. Außerdem blasen sie Tonnen von Auspuffgasen und Feinstaub in die Stadt. Eine wahre Plage, besonders im Sommer. Auf die könnten wir gut verzichten !“ … und Morgen ? Ja Morgen beginnt ein neuer Tag. Acqua Alta ist für 11:00 Uhr mit 1,15 m vorhergesagt.

„Acqua Alta“ sagt eine Stimme im Radio, und der menschliche Handel und Wandel verebbt. Die Straßen leeren sich, Läden, Bars, Restaurants und Trattorias werden geschlossen. Nur ihre Schilder leuchten und kommen schließlich auch einmal ein wenig in den Genuß des narzisstischen Treibens,da das Pflaster auf kurze Zeit und oberflächlich mit den Kanälen mithält. Die Kirchen allerdings bleiben geöffnet, doch über das Wasser zu gehen ist ja für Geistlichkeit wie Gemeindemitglieder nichts neues.  (Josef Brodsky / Ufer der Verlorenen)

Viele Geschichten birgt „La Serenissima“ noch auf dem Grunde der Kanäle und hinter ihren dicken steinernen Mauern. Man muss nur hinfahren und zuhören. Oder in Abwandlung von Heinrich Bölls Einleitung im Irischen Tagebuch würde ich sagen: „Es gibt dieses Venedig. Wer aber hinfährt und es nicht findet, hat keinerlei Ansprüche an den Verfasser.“