Lofoten – Kurs 68° Nord

Mein Freund Hans Strand schreibt im Vorwort zu einem seiner Bücher: „Natur ist immer wahrhaftig und niemals trivial“. Hans Strand zählt zu den großen Naturfotografen unserer Zeit. Nicht das ich mich, mit ihm vergleichen möchte oder gar messen könnte, aber meine Fotos einer Winterreise auf die Lofoten begeistern mich, weil sie etwas von der Wahrhaftigkeit besitzen die Hans Strand meint. Eine Textzeile aus einem Song von Achim Reichel habe ich im Ohr: „ich hab‘ die halbe Welt gesehen – von Hamburg bis nach Aberdeen“ Mir geht es ähnlich. Ich hab‘ die halbe Welt geseh’n und vielleicht sogar noch ein kleines Stückchen mehr. Die Regionen der Welt, die ausschließlich durch wunderschöne Landschaft „glänzen“ haben mich nie restlos begeistert. Ich mag die Wärme, ich mag es bunt, Landschaft, Menschen, Tiere, Tempel und Paläste. Mit meiner Reise auf die Lofoten war das anders. Wie oft hatten Freunde mir mit leuchtenden Augen von den Inseln vor der Küste Norwegens erzählt. Im März 2018 hieß es für mich Kurs 68° Nord. Von Frankfurt über Oslo via Bodø nach Leknes auf der Insel Vestvågøy.

Es lebe der Dorsch !

Nicht weit von Leknes liegt das kleine Fischerdorf Stamsund. 1400 Seelen zählt der Ort und ist damit für „lofotische Verhältnisse“ fast eine Großstadt. Man könnte es eine Retortenstadt nennen, denn Stamsund wurde erst Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet. Man lebt hier vom Fischfang und der Produktion von Stockfisch. Stamsund ist Heimathafen der Fangflotte der Lofoten und wird auch „Heimathafen“ für unsere Winterreise. Wir haben zwei Rorbuer gemietet. Die Rorbuer waren in der Vergangenheit Quartiere der Fischer und auf allen Lofoten-Inseln verbreitet. Mit dem Rückgang der Fischindustrie wurden aus den Rorbuer, kleine, bequeme Ferienwohnungen. Viel Zeit werden wir hier nicht verbringen, denn die Tage sind lang und angefüllt mit der Jagd nach immer neuen Motiven. So wie die Fischer am Morgen ihren Fang direkt vor unserer Haustür anlanden, kehre ich abends müde und stolz auf meinen Fang zurück.

Eine norddeutsche Redensart lautet: „Der Fisch stinkt vom Kopfe her“. Auf den Lofoten wird aus der Metapher Gewissheit. Die Wikinger handelten bereits zu Zeiten der Hanse mit dem „Gold des Meeres“. Vor Jahren nach waren die Kabeljaubestände in arktischen Gewässern bedroht. Fast 413.000 to. beträgt alleine die norwegische Fangquote. Als der Kabeljau in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wegen Überfischung vom Aussterben bedroht war begannen die Norwerger mit einem nachhaltigen Fischereimanagement. Dazu gehören angemessene Fangquoten, die, Verkleinerung der Fangflotte und strenge Auflagen hinsichtlich der Fangmethoden.

Heute sind die Bestände stabil und das sieht und riecht man. In jedem Fischerort, ob in Svolvær, Hamnøy, Sakrisøy oder Laukvik beherrschen Trockengestelle für Stockfisch die Szenerie. Jetzt, Anfang März ist Hochsaison. Die Trockengestelle füllen sich. Tørrfisk also Trockenfisch nennen die Norweger die Spezialität für die sie eine Monopolstellung besitzen. Schon als die Wikinger begannen ferne Länder zu erorbern, bestand Bedarf an haltbaren Nahrungsmitteln. Die Herstellung ist einfach. Der Dorsch wird ausgenommen und drei Monate im Freien getrocknet, Temperaturen um den Gefrierpunkt und etwas Schnee begünstigen die Haltbarmachung. 

Für etwas Belustigung sorgt die Tatsache das mancherorts ausschließlich die Fischköpfe zum Trocknen hängen, während in anderen Fischerdörfern die bis zu 20 kg schweren Fischkörper auf den Trockengestellen baumeln. Beides nimmt seinen Weg nach Süden. Ende April kommen die Einkäufer aus Nigeria und inspizieren die Qualität der Köpfe. Knapp zwei Cent zahlen sie für den Kopf eines Kabeljaus. So landen die Fischköpfe schließlich in Westafrika als Hauptbestandteil der Fischsuppe, welche bei den Nigerianern sehr beliebt ist. 

Der getrocknete Dorsch ist in den Ländern rund um das Mittelmeer eine beliebte Spezialität. In Italien und Spanien steht er auf den Speisekarten und in Portugal hat der Bacalhau den Rang eines Nationalgerichtes. In den nobelsten Restaurants von Lissabon gilt er als Delikatesse.

Aurora mit dem Sonnenstern !

Wer kennt diesen Slogan nicht. Seit meiner Kindheit wird für das besondere Mehl mit der Gelinggarantie geworben. Eine Gelinggarantie hatte ich mir auch gewünscht um das Naturwunder der „Aurora borealis“ zu erleben. Aber es gibt keine Garantien. Oktober und März sind zwar die Monate mit den besten Aussichten auf die Beobachtung des Himmelsphänomens, aber man sieht nur dann etwas, wenn es wenig oder keine Bewölkung gibt und natürlich muss der „Sonnenstern“ auch die entsprechenden Aktivitäten entwickeln.

Polarlichter entstehen, wenn elektrisch geladene Teilchen des Sonnenwindes auf Sauerstoff- oder Stickstoffatome in den oberen Schichten der Erdatmosphäre treffen. Durch die Magnetfelder der Pole ist die himmlische Lightshow in arktischen und antarktischen Breiten am intensivsten. Wenn dies geschieht, dann stehen wir Menschen mit offenem Mund da und können nur staunen wie kleine Kinder. Noch unwirklicher sind die Tatsachen. Der Abstand der Sonne zur Erde beträgt 150 Millionen Kilometer und die durchschnittliche Geschwindigkeit der Sonnenwind-ausbrüche liegt bei 500 – 800 km pro Sekunde. Es braucht also 2 bis 4 Tage bis uns die „Aurora“ erreicht und uns staunen lässt. Astrophysiker werden sich ob meines dilettantischen Erklärungsversuches kopfschüttelnd abwenden, denn natürlich ist es komplizierter; – aber ungefähr so funktioniert ist.

Zu Weihnachten 2015 hatte ich mich schon einmal auf die Jagd nach Aurora borealis begeben, auf der Hurtigrute. Die Jagdbeute blieb überschaubar. Von einem schwankenden Schiff aus, lassen sich nun einmal keine guten Photos machen und geschwankt hat es schon sehr. Bereits in Ålesund stürmt es mit Stärke 8. Im Restaurant bleiben viele Plätze frei. Kurz bevor wir bei Honningsvåg das Nordkap erreichen macht der Kapitän eine bemerkenswerte Durchsage: „Windstärke 11 wird erwartet. Das Schiff würde den Sturm zwar trotzen die meisten Passagiere aber wahrscheinlich nicht“. Er legt das Schiff statt in Kirkenes für 2 Tage in den geschützten Hafen von Alta.

Hier tritt ein Unbekannter in mein Leben. Nahe der futuristischen Kathedrale von Alta steht ein schneebedecktes Denkmal für Kristian Birkeland. Seit Mitte der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts beschäftigte Birkeland sich intensiv mit dem Polarlicht und errichtete mehrere Observatorien rund um den Polarkreis. Er war auf der richtigen Fährte. Da die Existenz der Sonnenwinde zu dieser Zeit noch unbekannt war, hat man ihm nicht geglaubt. Siebenmal hat man ihn für den Nobelpreis für Physik nominiert. Bekommen hat er ihn nie. Der Prophet gilt eben nichts im eigenen Lande.

Mit „Birkeland“ im Gepäck habe ich Glück. Zwei Nächte lang führt der Sonnengott sein himmlisches Theater auf. Schöner hätte ich es mir in meinen Träumen nicht ausmalen können.

Farvel !    

Der Physiker Max Planck hat einmal geschrieben: „Der unermeßlich reichen, stets sich erneuernden Natur gegenüber wird der Mensch, soweit er auch in der wissenschaftlichen Erkenntnis fortgeschritten sein mag, immer das sich wundernde Kind bleiben und muß sich stets auf neue Überraschungen gefaßt machen“. Ich sitze in einer kleinen Dash 8 auf dem Flug von Leknes nach Oslo. Tief unter mir ziehen die schroffen Klippen der Lofoten-Inseln vorüber. Ich denke an die schneebedeckten Felszacken, die vereisten Seen und verschneiten Dörfer, die Fischer die zum Fang hinausfahren. Ja; – Hans Strand hatte recht: „Natur ist immer wahrhaftig !“