…Wind, Sand und Sterne
ist der Titel, den Antoine de Saint Exupery seiner Liebeserklärung an die Wüste gab. Als Postflieger in der Sahara unterwegs zu sein, zu einer Zeit, zu der fliegen noch zu den großen Abenteuern zählte, muss eine prägende Erfahrung gewesen sein. Wie anders verlief unsere Reise ins Land von Muhammar al-Kadhafi, im Jahr 1998, als das UN-Embargo noch in Kraft war. Auch ein Abenteuer, aber ein kalkulierbares.
Doch zunächst noch einmal kurz zurück zu Saint Exupery, der seinen berühmtesten Romanhelden, den kleinen Prinzen, sagen lässt …nur mit dem Herzen sieht man wirklich gut, das Wesentliche auf dieser Welt bleibt unsichtbar. Libyen war für uns ein „unsichtbares“ Land, immer nur dann wahrgenommen, wenn Terrorakte irgendwo auf unserer schönen Welt für wenige Tage unsere Aufmerksamkeit fesselten. Aber Libyen bietet dem Besucher, der dieses Land mit dem Herzen sieht, „Wesentliches“ !
1998 flog noch keine der großen Airlines nach Tripolis. So reisten wir über Land an; über Tunis und Djerba erreichen wir den Grenzübergang Ras Ajdir, und werden dort von unseren libyschen Reisebegleitern abgeholt. Für unsere Begriffe geht es bei der Einreise sehr unbürokratisch zu. Das erste Wegstück in der „Al Jamahiriy al Arabiya al Libyia ash Shabiya al Ishtirakiya al Uzma“ (so der offizielle Name der „Demokratischen Volksrepublik Libyen“), ist eher unspektakulär. Nach wenigen Stunden erreichen wir Ghadames.
Von Ghadames aus sind sie aufgebrochen oder haben hier Station gemacht, die deutschen Sahara-Reisenden Heinrich Barth, Gerhard Rohlfs und Gustav Nachtigal. Auch wir nutzen, nach einem Rundgang durch die verlassene Altstadt mit ihren teilweise überdachten Gassen – die mittlerweile zum Weltkulturerbe zählt – Ghadames als Startpunkt in Richtung Ghat. Eigentlich hatten wir vor die Straße entlang der algerischen Grenze nach Ghat zu nehmen; doch plötzlich heißt es die Piste sei nach einem Sturm versandet, ein Durchkommen nicht möglich. So ändern wir unseren Plan und nehmen die Route durch die Wüste – durch den großen Erg von Ubari. Als wir durch das Stadttor von Ghat, fahren, fallen die ersten Tropfen – Regen in der Sahara ! Das kann ja heiter werden. Der Himmel ist wolkenverhangen, trist, grau, da sinkt die Laune des Fotografen schnell auf Null.
Nach einer ersten Nacht, in der immer wieder Regentropfen auf das Zeltdach prasseln und der Wind nur so um die Zelte pfeift, ist der Morgen kalt und klar, der Himmel blau und wolkenlos.
Unser erstes Ziel ist der Akakus mit seinen Inselbergen und skurrilen Felsskulpturen, die Wind und Sand im Laufe der Jahrhunderte in das Gestein gefräst haben. Immer wieder finden sich an den Felswänden prähistorische Felsmalereien und Felsgravuren, über deren Alter man nur spekulieren kann. Der berühmte französische Archäologe Henri Lhote, datiert die Felsbilder im algerischen Tassili auf 5.000 – 1.200 v. Chr., und das Tassili, liegt nur einen Steinwurf entfernt, auf der anderen Seite der Grenze.
Die Zelte für das Nachtlager schlagen wir unweit des Fozzigaren auf, einem aus dem Sand herausragenden Natursteinbogen, der sich in Gelb- und Orangetönen vom fast dunkelblauen Himmel abhebt.
Am Übergang von der Geröllwüste des Akakus, zur Sandwüste des großen Erg von Murzuq, liegt das Wadi Mathendous das man nur über eine Holperpiste erreicht. Im Wadi Mathendous, findet man die schönsten Felsgravuren der Sahara. Wie in einer Galerie kann man an den Bildern entlang laufen, die unsere Vorväter dort in den Fels gemeißelt haben. Sie geben Zeugnis davon, dass die Sahara in früherer Zeit keine lebensfeindliche Wüste war sondern ein Ort, an welchem Giraffen, Elefanten, Krokodile und eine reiche Fauna ihren Lebensraum hatten.
Nach unserem anfänglichen Wetterpech meint Petrus es jetzt gut mit uns. Die Tagestemperaturen steigen auf bis 46° C im Schatten, und das wird sich auch für den Rest unserer Reise nicht mehr ändern.
Vom Wadi Mathendous kommend, erreichen wir am Abend Germa einen Marktflecken, der über ein Hotel mit fragwürdigem Komfort, aber auch einen vollen Kühlschrank mit kalten Getränken verfügt,…leider reicht der Vorrat nur für eine halbe Stunde – danach sind alle Dosen und Flaschen geleert.
Germa ist der Startpunkt für einen Ausflug zu den Mandara-Seen. Am Ortsausgang von Germa,liegt eine Bäckerei, hier riecht es nach frischem Baguette und wir ergänzen unsere Vorräte. Durch das Embargo ist das Lebensmittelangebot auf einheimische Produkte begrenzt, und die große Hitze lässt alles Frische schnell verderben.
Gleich hinter der Bäckerei liegt die „Einstiegsdüne“ zur Piste nach Mandara. Die bis 300 m aufragenden Sandrampen kann man nur am frühen Morgen oder späten Abend überwinden, wenn der Sand nicht weich ist. Unsere Fahrer sind routiniert und haben das Temperament der Levantiner. Wir queren die Dünen mit Leichtigkeit, und erreichen nach wenigen Stunden den Gabroon-See. Die Häuser am Seeufer sind verlassen und verfallen. Schilf und Binsen säumen das Seeufer, und bei weit über 40° entledigen wir uns schnell aller Kleider und stürzen uns in das Nass. Die Abkühlung ist eine Wohltat, das Schwimmvergnügen jedoch begrenzt, denn der Salzgehalt des Wassers, ist mindestens so hoch wie der des Toten Meeres.
Unweit vom Gabroon- liegt der Mandara-See, welcher der gesamten „Seenplatte“ seinen Namen gegeben hat. Der Mandara-See ist trockengefallen, und die Erdschollen auf dem trockenen Seegrund bilden ein spannendes Muster. Alle Seen werden vermutlich von Adern fossilen Grundwassers gespeist. Ob die Ursache für die Trockenheit darin liegt, dass Präsident Gadhafi im „Man-Made-River-Projekt“ in der Wüste das arthesische Tiefenwasser abpumpt und damit in den dichter bevölkerten Küstenregionen landwirtschaftliche Flächen bewässert ist nicht bewiesen aber nicht unwahrscheinlich.
Beim letzten Abendlicht, erreichen wir das eigentliche Kleinod des Seen-Gebietes, „Um el Ma“, die Mutter des Wassers. Hinter dem See erheben sich Sanddünen und ein Palmengürtel, die sich im klaren Wasser spiegeln. Die Zelte lassen wir mittlerweile weg; alle sitzen in der Abendsonne auf ihren Schlafmatten, hängen ihren Gedanken nach und sehen zu wie der glutrote Ball der Sonne hinter den Dünen versinkt. Bei diesem Anblick muss ich an die Worte des Propheten Mohamed denken.
…die Wüste ist der Garten Allahs, aus dem dieser alles menschliche und tierische Leben entfernt hat, auf dass er in Frieden lustwandeln kann.
Am nächsten Morgen fahren wir zurück nach Germa, ergänzen unsere Wasser- und Treibstoffbestände und machen uns wieder auf den Weg nach Ghat, unweit der algerischen Grenze. Vor unserer Abreise aus Deutschland hatte man uns vor dem „Überwachungsstaat Libyen gewarnt“. Auf diesem Teilstück zurück nach Ghat, gibt es erstmals Kontrollen durch Polizei und Militär. Zu unserer großen Überraschung, werden wir freundlich willkommen geheißen. Ärger gibt es nur für einen der Fahrer, denn er ist mit den Ausweispapieren seines Bruders unterwegs, aber auch das lässt sich regeln. Aufgrund der Grenznähe, rät man uns zu einem Camp außerhalb der Stadt in der Wüste. Den Vorschlag nehmen wir gerne auf, denn auf ein Hotelzimmer hat bei diesen Temperaturen niemand Lust.
In der Kühle des frühen Morgens fahren wir in den Ort, der ein wichtiges Zentrum für die Tuareg der Region ist. Die Tuareg sind ein stolzes kriegerisches Volk. Auch wenn sie in Ihren Heimatländern überall nur eine Minderheit bilden, sind sie die wahren Herrscher der Sahara. Unbeliebt sind sie bei den anderen Stämmen des Sahara-Raumes, denn nicht selten hielten die Tuareg diese in Sklaverei und Knechtschaft.
Wir wandern durch die Altstadt von Ghat, mit ihren vielen Moscheen. Die schachtelförmigen Lehmhäuser bilden ein Muster, als ob jemand Bauklötze auf- und ineinander geschachtelt hätte. Der Ort ist bewohnt, auch wenn er menschenleer scheint. Nur selten sehen wir in den Durchgängen Menschen, die mit ihren Besorgungen auf dem Nachhauseweg sind. Wenn die Sonne hoch über dem Horizont steht, ziehen sich Mensch und Tier in die Kühle der Häuser und des Schattens zurück. Am Stadttor treffen wir Tuareg-Schmiede aus dem Niger, die hier Schmuck anbieten. Dass die Preise, – wenn auch für unsere Verhältnisse erschwinglich, – reine Phantasiezahlen und total überhöht sind, werde ich erst einige Jahre später, auf einer Reise durch die Ténéré erfahren.
Von Ghat über Germa und Murzuq, geht es nach Tmisah. Tmisah ist Abzweig zur Piste nach Waw-an-Namus. Unsere Fahrer trödeln, – ohnehin sind wir täglich von mehreren Reifenpannen geplagt -, so wird aus heiterem Himmel eine „Putz- und Flickstunde“ mit Reifen- und Fahrzeugpflege angesetzt.
Das Embargo der UN das nach dem Attentat von Lockerbie verhängt wurde, zeigt Wirkung. Das Land an sich ist reich. Es gibt Öl ! Im Gegensatz zu vielen anderen Staaten Nordafrikas, wird nicht gebettelt. Der Reisende kann sich ohne beständige Ansprache durch Händler, selbsternannte Führer oder Neugierige, überall unbehelligt bewegen. Aber es gibt in den Läden nichts oder nur wenig zu kaufen, auch keine dringend benötigten Ersatzteile. So werden die Autoreifen immer wieder mit Flicken versehen. Zum Aufpumpen benutzt man einen einfachen Trick. Man schraubt eine Zündkerze heraus, schließt einen Schlauch an und pumpt den Schlauch mit dem Treibstoff-Luft-Gemisch auf. Irgendwann löst dieses Gemisch dann wieder einen alten Flicken an, und der Reifen verabschiedet sich wieder mit einem lauten Knall. So ergibt sich ein beständiger Kreislauf. Da man sich neue Reifen nicht leisten kann, werden sogar Karkassen geflickt, in dem man Gummireste aufnäht.
Ein Machtwort drängt zur Eile, nach Waw-an-Namus sind es zwei Tagesreisen. Die Einheimischen meiden diesen Ort gerne, denn die arabischen Worte Waw und Namus, stehen für Krater und Mücken. Eine nähere Erklärung ist wohl unnötig. Wer will da schon hin ?
Die Wüste fasziniert mich immer und immer wieder, weil das Auge des Betrachters am „Wesentlichen“ hängen bleibt. Als wir uns nach langer Tagesfahrt dem Ziel der ersten Teiletappe nähern, strahlt das Militärcamp Waw-el-Kebir schon Stunden bevor wir es erreichen einen Lichtschein in die Nacht. Plötzlich, springen aus einem Graben in der Dunkelheit zwei Figuren auf und haben die Kalaschnikov im Anschlag. Halt wer da ??? Erschrocken ruft unser Fahrer: „….Ich bin’s nur, Ahmed aus Ubari!“ Lachend fallen sich die Soldaten und der offensichtlich „weltberühmte“ Ahmed in die Arme. Küsschen rechts und links… man kennt sich eben, in einem Land, das so wenige Einwohner hat.
Waw-el-Kebir ist ein vom Militär betriebenes Restcamp in der Wüste und – oh’ Wunder und Freude – es verfügt über einen Pool, mit Wasser und über einen Kühlschrank. Wie schnell sich die Bedürfnisse doch auf das „Wesentliche“ reduzieren.
Gegen Abend des nächsten Tages erreichen wir das Naturwunder von Waw-an-Namus. Mitten in einer Kiessenke, liegt die mehrere Quadratkilometer große Caldera, in deren Mitte sich ein symetrischer, schwarzer Vulkankegel erhebt. Der Boden der Caldera ist von schwarzem Sand bedeckt, in den der Wind bizarre Muster gezeichnet hat. Gekrönt wird dieses Panorama, von kleinen, – aufgrund ihres Mineralgehaltes – verschiedenfarbigen Seen, in einem Farbenspiel zwischen rosa, braun und blau, die sich wie an einer Perlenkette aufgereiht, um den Vulkanfuß lgruppieren. Auf dem Kraterrand schlagen wir unser Lager auf und genießen die Kulisse im Licht der untergehenden Sonne.
Für den Rückweg nutzen wir die gleiche Route, und erreichen nach zwei Tagen wieder das wohlbekannte Hotel in Germa, wo uns unser Freund Ali Saiidi in Empfang nimmt. Was everything o.k. ? Aus allen Poren schwitzend, kredenzt er grinsend kalten Palmwein, aus einem 20 ltr. Kanister. Alkoholgenuss ist in Libyen strikt untersagt; und jetzt das ! Wie geht das zusammen ? Nun, sagt Ali: …„Everything is possible, under the table !”
Am kommenden Morgen beginnt der “heißer Ritt” nach Tripolis. Mehr als 20 Stunden Fahrt in einem Bus aus koreanischer Produktion, der zwar neu, aber auch hoffnungslos untermotorisiert ist. Die Sitze haben noch Überzüge aus Plastiktüten, um sie möglichst lange zu schonen, und bei mehr als 40 Grad C kleben die wunderschön am Hosenboden und nackten Beinen. Es ist bereits kurz vor Mitternacht als wir in Al Khoms an der Küste des Mittelmeeres ankommen.
Tripolis, die Hauptstadt, liegt nur wenige Kilometer entfernt. Wir wollen die römischen Ruinen, von Leptis Magna und Sabrata besuchen. Die beiden Städte bildeten zusammen mit Oea den Drei-Städte-Bund, „tri-polis“, der dem heutigen Tripolis und der Provinz Tripolitanien ihren Namen gab. Tripolis ist ursprünglich eine kathargische Gründung aus dem 6. Jh v. Chr. Nach der Zerstörung Kathargos im Jahre 146 v. Chr., geriet die Provinz unter römischen Einfluss.
Leptis Magna; – das große Leptis, liegt direkt am Meer. Zunächst schlug sich die Stadt im Bürgerkrieg des Pompeius gegen Cäsar auf die falsche Seite, als jedoch der in Leptis Magna geborene Septimius Severus 193 n. Chr. Kaiser wurde, erlebte die Stadt einen Aufschwung und ihre Blütezeit. Mit dem Einfall der Vandalen in Nordafrika fiel Leptis Magna in Schutt und Asche. Mit der Blüte des oströmischen Reiches kam es für kurze Zeit nochmals zu Ruhm und Glanz. Nach der Eroberung durch arabische Heere, 642 n. Chr., viel Leptis Magna auf ewig in Trümmer. Heute sind die Basilika, das Theater und der Trajans-Bogen ausgegraben, und viele Säulen der Tempel, die römische Gottheiten geweiht waren, ragen wieder in den blauen Himmel.
Unweit von Leptis Magna, liegt Sabrata, die zweite Stadt des Dreibundes, die das Schicksal Leptis Magnas teilte. Höhepunkt und Herzstück des Ausgrabungsgeländes ist das Theater, ein Schmuckstück römischer Architektur. Die Bühnenaufgänge und Besuchertribünen sind geschmückt mit Tierskulpturen, von Walfischen bis zu Elefanten. Und hier, auf der Bühne des Theaters von Sabrata, die einst Bühne der Weltgeschichte war, endet unsere Reise durch Libyen; doch nicht ohne zum Schluss noch einen Gedanken eines klugen Mannes anzufügen.
„Du musst die Wüste nicht einmal ganz verstehen. Es genügt, wenn du dich in die Betrachtung eines einzigen Sandkorns versenkst, und du wirst darin alle Herrlichkeit der Schöpfung wiederfinden“. (Paulo Coelho)