Hafen der Düfte

Lange schon ist der „Hafen der Düfte“ heimgekehrt ins „Reich des Drachen“. Als die Kronkolonie im Jahr 1997 von den Engländern an die Chinesen zurückgegeben wurde, schien es zunächst als sei alles vorbei, auch wenn die britische Administration günstige Vereinbarungen für eine Autonomie verhandelt hatte. Aber konnte man den alten Herren der KP in Peking wirklich trauen ?

Die Machthaber im Zentralkomitee tun gut daran den Einwohnern von Hong Kong ein wenig von jener Freiheit zu lassen, die man in Zentralchina noch viele Jahre wird entbehren müssen. Auch wenn in Peking schon lange „lupenreine“ Kapitalisten an den Schalhebeln der Macht sitzen, eine Selbstverständlichkeit ist das nicht. Erst im vergangenen Jahr versuchte Xi Jinping die Zügel anzuziehen und die Kandidaten der KP für die Kommunalwahl durchzudrücken. Tausende waren auf den Straßen und protestierten mit aufgespannten Regenschirmen gegen dieses Vorhaben. Es war gleichsam so etwas wie ein Schutzschirm. Am Ende hat sich die Regenschirm-Bewegung durchgesetzt.

Hong Kong ist anders ! Auch wenn sich in anderen chinesischen Millionenstädten wie Shanghai, Peking oder Guangzhou bereits viel von der quirligen Lebenslust Hong Kong’s wiederspiegelt, bleibt Hong Kong doch einzigartig. Die Zeit in der über dem „Hafen der Düfte“ noch der den Geruch von Gewürzen, Essentien und Spezereien lag, diese Zeit ist lange vergangen. Im Hong Kong dieser Tage regiert nur ein Duft: der Duft des Geldes.

Financial District – …a city that never sleeps

Blank geputzt, auf Hochglanz poliert und glattgebügelt; – das ist der Finanzdistrikt auf Victoria Island. Vor gut 30 Jahren war ich das letzte Mal für längere Zeit in der Stadt. Viel hat sich verändert. Damals lag der Flughafen noch inmitten des Häusermeeres. Der Anflug auf Kai Tak Airport war immer ein Abenteuer. Nicht selten hing die Leine mit der Wäsche, die die Hong Konger Hausfrau zum Trocknen auf den Balkon gehängt hatte später am Fahrgestell eines Fliegers, die in wenigen Metern Abstand über die Häuserschluchten donnerten. Heute hat man einen modernen Airport auf Lantau gegenüber der Mündung des Perlflusses gebaut und man erreicht Kowloon oder Victoria Island in gut 45 Minuten mit Bus oder Metro.

Damals wurde die Skyline überragt von der bulläugigen Fassade des Connaught House, und der schlanken dreieckigen Silhouette der Bank of China. Heute sind diese Hochhaustürme nur zwei Zwerge unter vielen Riesen. Dort wo Hang Seng, Dow Jones und DAX regieren sind architektonische Glanzstücke entstanden. Der Sky 100 Tower mit der 360° Aussichtsplattform in 393 m Höhe und seine Schwester das Two International Finance Center; – von den Hong Kong’ern liebevoll „Rasierapparate“ genannt – das Central Plaza oder The Center dominieren die Kulisse der Skyline. Viel Glas, Chrom und Edelstahl bestimmen die Optik. Ein Fest für Fotografen. Alles spiegelt sich wieder und wieder in den blank geputzten Flächen. Spiegelverkehrte Welt ! Die Welt steht auf dem Kopf ! …oder hält uns die Welt nur den Spiegel vor ? Ist es alles nur eine Scheinwelt, in welcher der Schein mehr ist als die Wirklichkeit ? Merkwürdig, an was man sich erinnert. Während ich staunend vor den Kathedralen der Finanzwelt stehe, fällt mir eine indianische Weisheit der Cree ein:

„Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet Ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.“

Vielleicht ist das ein wenig zu philosophisch oder zu skeptisch, aber ich habe im Leben wenige Bankiers kennengelernt deren Wertvorstellungen mit denen der Indianer übereinstimmten. Hier gilt nur eine Devise: „Money makes the world go around“.

Senk ju vor trävelling…

seien wir ehrlich; – über den Slogan „Senk ju vor trävelling Deutsche Bahn – haben wir alle herzlich gelacht, bringen wir unsere Bahn doch immer mit Verspätungen, Streiks und Ineffizienz in Verbindung. In Hong Kong hat man das was wir trocken mit dem Begriff: öffentlicher Personennahverkehr beschreiben, perfektioniert. Ein engmaschiges Netz an Buslinien mit modernen Doppelstockbussen, die Metro, die historischen Trambahnen die zwischen Kennedy Town und der Rennbahn im Happy Valley verkehren und nicht zuletzt die alten Schiffe der Star Ferry die in wenigen Minuten Kowloon mit Victoria Island oder Wan Chai verbinden. Den vielen Armen eines Kraken gleich sind alle Verkehrsstränge miteinander verbunden. Aus gutem Grund heißt die Verbundfahrkarte der Hong Konger Verkehrsbetriebe auch Octopus-Card. Die Fahrpreise sind unschlagbar günstig. Einzig die Metro kurz MTR stellt für Nichteinheimische eine Herausforderung dar. Die hochmodernen Züge des MTR fahren auf verschiedenen Ebenen und die Zustiege sind häufig nicht einfach zu finden. Die unterirdischen Stationen sind riesig. Noch schwieriger ist es wieder an die Oberfläche zu finden. Jede Station hat mehrere Ausgänge. In der Station Central sind es deren gar acht die von A – K gekennzeichnet sind und sich dann wieder in mehrere Aufgänge gabeln. Der Octopus verdient seinen Namen also zu Recht. Keine Angst; – dem Octopus hat man freundliche menschliche Helfer an die Hand gegeben. Wem die Zweifel auf die Stirn geschrieben stehen oder wessen suchender Blick den Ortsunkundigen verrät, auf den stürzt sich sofort ein MTR’ler in knallgelber Uniform und weiß freundlich und kompetent Rat. Senk ju vor trävelling MTR !

Bonduelle ist das famose, Zartgemüse aus der Dose !

Wer kennt diese Werbung nicht ? -und was hat sie mit Hong Kong zu tun ? Einfache Antwort: Gar nichts ! Gemüse aus der Dose; – ein Gräuel für jeden Chinesen, denen nichts über Frische geht. Hier gibt es alles was das Herz eines Gourmet höher schlagen lässt in allerbester Qualität. Auf dem Obstmarkt in der Reclamation Street – keine Sorge, der Name ist kein Programm – gibt es nichts, was es nicht gibt. Das Obst lacht einem an. Der Markt hat sich zum Anziehungspunkt für die Bewohner des Viertels entwickelt. Hier sitzt man, zählt die Tageseinnahmen und macht den Erlös in einem Spielchen Majong gleich wieder zunichte. Was soll’s – wie gewonnen so zerronnen!

Zwischen Paletten, Bananensteigen und Obstkisten hat ein Hochzeitsphotograph sein Set eingerichtet und gibt einem frisch vermählten Paar Regieanweisungen. Mit High Heels, Schleppe, Schleier und Blumenbouquet auf den Palettenstapeln zu balancieren erweist sich als Drahtseilakt. Es kommt wie es kommen muss ! Der Absatz ist abgebrochen und es gibt die ersten Tränen in der ach so jungen Ehe. Die Braut wirft dem Photographen die roten Schuhe vor die Füße und das Wedding-Shooting findet ein jähes Ende. All das ficht die Obsthändler nicht an. Für sie geht es um Ananas, Weintrauben, Birnen und weniger um die Äpfel vom Baum der Erkenntnis. Welche Erkenntnis ? Mark Twain hat das so beschrieben: „Liebe ist etwas Ideelles, Heiraten etwas Reelles, aber nie verwechselt man beides ungestraft“.

There is no business like show business

Wir sprechen in Deutschland gerne davon das die Gesellschaft eines Tages auseinander brechen wir, weil die Schere zwischen „arm und reich“ immer weiter auseinander driftet.

In Hong Kong ist man schon einen Schritt weiter. Die Reichen zeigen was sie haben. Mir scheint, das die Hälfte der Weltjahresproduktion an Luxusgütern in Hong Kong landet. Autos sind hier Statussymbol: Maserati, Lamborghini, Rolls Royce oder Bentley – man zeigt was man hat. Shopping Malls mit über 1000 Geschäften gibt es gleich eine handvoll. Zeit spielt in Hong Kong eine entscheidende Rolle; nicht nur für die „Ameisen“ aus dem Finanzdistrikt die immer in Eile zu sein scheinen, nein; – In den Ladenstraßen auf Victoria Island oder entlang der Nathan Road auf Kowloon reiht sich ein Uhrengeschäft an das nächste. Wer kauft das alles ? Wer kann sich das leisten ? Die abertausend philippinischen Haushaltshilfen und Aupair-Mädchen ganz sicher nicht. An ihrem gesetzlich garantierten freien Tag treffen sie sich in öffentlichen Parks und Anlagen. Ein paar Pappkartons als Unterlage, ein kleiner Schirm als Schutzschild vor der Welt, ein wenig Privatsphäre und das Mobiltelefon für den Kontakt in die Heimat, wo die Kinder bereits auf ein Lebenszeichen der Mama warten. Die Welt ist sicher nicht gerecht. Aber muss sie so ungerecht sein ?

Hong Kong „blendet“. Wie Altbundespräsident Johannes Rau es einmal ausgedrückt hat, ist die Gesellschaft Hong Kongs eine die von allem den Preis und von nichts mehr den Wert kennt.

Bei allen kritischen Seitenblicken; – Hong Kong ist eine Stadt die fasziniert, der Photograph mag die Kamera gar nicht aus der Hand legen. Viele Geschichten müssen unerzählt bleiben. Es wird Ihnen nichts übrigbleiben als hinzufahren und sie selbst zu erleben. Auf den Weg sollten Sie sich nicht machen, ohne die tröstenden Worte eines jener weisen Männer die einst in China lebten:

„Genug zu haben ist Glück. Mehr als genug zu haben ist Unglück“   (Laotse)