Götter, Tempel und Paläste im Tal von Kathmandu

Es ist der Weihnachtsmorgen, als das Telefon klingelt. Mein Freund Rainer fragt in seiner kurzen und knappen Art….“hast Du Lust, mit zum Indrajatra-Fest nach Nepal zu fahren ?“ Antwort: „Aber immer ! Wann geht’s los ?“

Bis es soweit ist, wird noch einige Zeit vergehen, denn Indrajatra – eines der höchsten hinduistischen Feste -, wird im September gefeiert. So bleibt uns genug Zeit für eine detaillierte Planung. Im Laufe der Monate lerne ich Marianne Grosspietsch kennen, die Leiterin der Shanti Leprahilfe Dortmund e.V, die vor den Toren von Kathmandu ein Lepra-Zentrum unterhält. Die Wunschliste, die per Fax. aus Kathmandu kommt wird immer länger und die mitreisenden Medizinmänner, quetschen jeden Pharma-Referenten aus, um alle Wünsche zu erfüllen.

Im September stehen wir dann mit gut 60 kg Medikamenten auf dem Tribhuvan Airport in Kathmandu und warten – leider vergeblich – auf unser „Empfangskomitee“. Der Zoll lässt uns mit so vielen „Drogen“ nicht ins Land. Unsere kostbare Fracht bleibt am Flughafen und als wir später versuchen, die Situation doch noch zu retten, sind die Medikamente spurlos verschwunden und wahrscheinlich schon auf dem schwarzen Markt gelandet.

Kathmandu in einem engen Talkessel gelegen, hat mehr als 800.000 Einwohner. Die Luft ist unglaublich schlecht. Die Abgase stehen in den engen Gasen; es raubt einem schier den Atem.Wir haben eine Insel der Ruhe in diesem Trubel gefunden, das Hotel Harati, eine Oase, mitten in der Stadt und nur 10 Gehminuten vom Durbar Square, dem zentralen Platz, entfernt und mit gutem Blick hinauf nach Swayambunath.

Am ersten Tag schlendern wir durch die Stadt und saugen die Atmosphäre in uns auf. Am Durbar Square liegt neben dem Taleju-Tempel und dem Degutale-Tempel der Stammsitz des nepalesischen Herrscherhauses, der Hanuman-Dhoka-Palast. Reich verziert sind die Gebäude mit prächtigen Holzschnitz- und Steinmetzarbeiten. Heute, einige Tage vor dem Beginn der eigentlichen Festivitäten ist der Platz vor dem Königspalast die Kulisse für Gaukler, Schlangenbeschwörer und Kaufleute. Unvermeidlich ist die beständige Ansprache durch die fliegenden Händler……you want Gurkha-Knife ? Tiger-Balm ? Carpet ? Wenigstens sind sie nicht böse und ziehen weiter, wenn man genauso beharrlich ablehnt.

Am Nachmittag nehmen wir uns ein Tuc Tuc, – das ist ein knatternder, stinkender Motorroller, Marke „indische Vespa“ mit einer kleinen Passagiersitzbank für maximal 4 Personen – und fahren hinaus nach Bodnath zum weltberühmten Stupa. Obwohl es vom Durbar Square nach Bodnath fast 8 km sind, liegt der buddhistische Tempel immer noch mitten in der Stadt. Das macht die Suche nach einer fotografischen Perspektive schwer. An einer Seite des Platzes wird gebaut und wir klettern über die Baugerüste, vorbei an verdutzten Bauarbeitern nach oben. Nach verdutzter schaut eine Familie die offensichtlich beim Frühstück sitzt, als wir plötzlich auf ihrer Terrasse stehen. Wir hatten gar nicht damit gerechnet, dass in dieser baufälligen Bude jemand wohnt. Gastfreundlich werden wir willkommen geheißen und haben von hier oben einen prächtigen Ausblick auf den Stupa. Die Anlage hat die Form eines Mandalas und die goldene Spitze mit dem Ehrenschirm überragt die Kuppel um gut 40 m. In alle vier Himmelsrichtungen blicken die alles sehenden Augen Buddhas von der Spitze des Turmes.

Wenn man die Kriege auf dieser Welt bedenkt, die aus Glaubensgründen geführt werden und wurden, bin ich immer wieder beeindruckt, wie friedlich die Anhänger des Hinduismus und des Buddhismus auf dem indischen Subkontinent zusammenleben. Die Religion ist jene Kraft, welche den Menschen Halt gibt, das schwere Los ihres Alltags zu ertragen. Nepal gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Das Einkommen pro Kopf beträgt nicht einmal 250 US $ pro Jahr. Analphabetismus ist weit verbreitet, die Kindersterblichkeitsrate hoch, beides ist dem Geburtenüberschuss, Unterernährung und mangelnder Hygiene geschuldet.

Am Abend beginnt das Fest für den Hindugott Indra. In der Glaubenswelt der Hindus ist er der König des Himmels und Beschützer allen Lebens auf Erden. Kaum eine andere Gottheit erfährt in Nepal mehr Verehrung und das will bei den vielen Hindugöttern viel heißen. Als wir nach Einbruch der Dunkelheit wieder in Richtung Durbar Square bummeln, brennen überall kleine Butterlichter, Maskentänzer sind unterwegs, angeführt von einem wirbelnden Dämon dem Lakhe der die bösen Geister vertreibt.

Das Haus der Kind-Gott-Königin – der Kumari – gegenüber des Hanuman-Dokha-Palast wird angestrahlt und der Schrein der Maske von Shveta Bhairava, der das ganze Jahr verschlossen ist, ist geöffnet und beleuchtet. Die Menschen sind auf den Straßen unterwegs und tragen Opfergaben in die Tempel und heiligen Stätten. Es herrscht eine feierliche, fröhliche Stimmung.

Der nächste Tag steht ganz im Zeichen des Festes. Nach dem Motto „frühzeitiges Erscheinen sichert die besten Plätze“ folgen wir der Empfehlung unseres Guides und sind schon gegen 11:00 Uhr auf der Besuchertribüne direkt an der Stirnseite des großen Platzes. Gegen 13:00 Uhr soll die Prozession beginnen. Der Platz füllt sich und an den 3 kleinen Stufentempeln auf dem Platz hängen Trauben von Menschen. Stundenlang sitzen wir in der prallen Sonne. Außer dem Défilé des diplomatischen Corps passiert nichts. Gegen 17:00 Uhr als sich die Sonne bereits senkt und die Schatten länger werden, sehen wir, weit entfernt auf der anderen Seite des Platzes, den Hochwagen der Kumari.

Die jungfräuliche Kumari ist ein kleines Mädchen, sie wird von Tempelpriestern wegen der Makellosigkeit ihres Körpers zur Göttin gewählt und von den Gläubigen als lebende Schutzpatronin angebetet. Die Kumari und ihre Nebengöttinnen werden auf Hochwagen durch die Straßen gezogen und jeder will einen Blick auf die Kumari erhaschen oder ihren Wagen berühren, da dies Glück bringen soll und Segen für das weitere Leben verheißt.

Nach stundenlangem warten sehen wir… nichts ! Seither stehe ich religiösen Festen oder anderen Massenveranstaltungen (zumindest fotografisch) skeptisch gegenüber. Der kommende Tag entschädigt uns mit strahlendem Sonnenschein. Für den Vormittag haben wir einen Besuch in Pashupatinath geplant und nachmittags wollen wir zum Tempelkomplex von Swayambunath.

Der Tempelbezirk von Pashupatinath liegt am heiligen Fluss Bagmati. Viele Gläubige vollziehen ihre rituellen Waschungen an den Ghats (den Badeanlagen) am Ufer des Bagmati. An den Ghats wird auch der Totenritus vollzogen. Menschen, die es sich leisten können, bringen ihre verstorbenen Angehörigen hierher um sie verbrennen zu lassen. Der Tote wird in prächtige Tücher gehüllt auf einem Scheiterhaufen aufgebahrt und zusammen mit Votivgaben zu Asche verbrannt, die man dem heiligen Fluss übergibt. Zwischen den Badenden hindurch treiben dann die Ascheschleier den Fluss hinab. Ein bisschen makaber ist das schon.

Makaber oder skurril sind auch die Darbietungen der Saddhus, die Pashupatinath zu ihrem Treffpunkt erkoren haben. Der kleine Messingeimer für Spenden vor sich aufgestellt präsentieren sie ihre 5 m lange Haarpracht oder durchbohren sich den Penis und heben daran Gewichte hoch. Mein Freund Nagender würde sagen…..es sind „Holy businessmen !“

Swayambunath ist wieder eine buddhistische Tempelanlage. 365 Stufen muss man überwinden, wenn man hinauf zur Stupa will. Der Weg ist beschwerlich und wird gesäumt von kleinen Chörten, bunten Buddha-Figuren und Mani-Steinen. Oben angekommen, blickt man in die „alles sehenden Augen Buddhas“, die ihren Blick vom Turm der Stupa hinab auf die Menschen im Tal von Kathmandu gerichtet zu haben scheinen.

Der Legende nach, war das ganze Tal von Kathmandu ursprünglich von einem See bedeckt, in dessen Mitte eine wunderschöne, blau leuchtende Lotosblume wuchs. Von weither kamen die Pilger, um an diesem heiligen Ort zu beten. Aus Tibet kam der fromme Manjushri um hier zu Meditieren. Mit seinem Zauberschwert der vollständigen Erkenntnis schlug er eine Bresche in die Hügel um das Wasser am abfließen zu hindern. Die blau leuchtende Lotusblume pflanzte er auf dem Hügel, auf dem sich heute Swayambunath erhebt.

Abseits aller Sagen und Legenden ist Swayambunath ein Ort, an dem auch nichtgläubige Buddhisten eine gewisse Spiritualität verspüren. In einer kleinen Chörte brennen vor dem Bild des Dalai Lama Hunderte von kleinen Butterlichtern. Vom Turm der Stupa herab spannen sich Bänder mit Gebetsfahnen und rund um die Anlage säumen schwere Gebetsmühlen aus Bronze den Weg. Nach dem Glauben der Buddhisten soll der beständig wehende Wind die Gebete die auf die Fahnen gedruckt sind und die Gebete, die sich im inneren der Gebetsmühlen befinden, hinaus in die Welt tragen.

Auf dem Hügel von Swayambunath befindet sich eine kleine Klosterschule. Junge Novizen werden hier von alten Lamas in der Lehre Gautama Buddhas unterrichtet. Als ich den Kopf durch die Tür des Klassenzimmers strecke, ist es mit der Ruhe jedoch vorbei. So ein Besuch ist eben doch interessanter, als das eintönige …“Om mani padme hum“… Da sind Kinder auf der ganzen Welt gleich und das ist auch gut so.

Verlässt man Kathmandu, liegen mit Bhaktapur und Patan zwei weitere Königsstädte in Reichweite. Ein Besuch der Tempel und Palastanlagen ist allemal lohnenswert auch wenn der Baustil den Prachtbauten von Kathmandu gleicht. Hierher kommen jedoch deutlich weniger Touristen.

Ich möchte diese Geschichte nicht beenden, ohne ein wenig von den Menschen zu berichten, von den Händlern auf den Märkten und den Künstlern und Handwerkern.

In Patan gibt es Viertel, in dem viele tibetische Flüchtlinge leben. Mit Spendengeldern aus Europa hat man eine Schule errichtet, in der die Kinder in ihrer Sprache und Kultur unterrichtet werden. Als wir in der Pause auf dem Schulhof, Kugelschreiber, Luftballons und Bonbons verteilen, ist für die Kinder Weihnachten. Geschenke kann sich hier keiner leisten und so blicken wir beim Abschied in glückliche, große Kinderaugen.

Unweit der Schule befindet sich ein Handicraft-Center, in dem Tibet-Teppiche geknüpft werden und wo es erstklassige Thangka-Maler gibt. Thangkas sind lamaistische Rollbilder die je nach Größe in Tempeln oder Hausaltären aufgehängt werden. Bei den Motiven handelt es sich um Symbole des Mandalas oder Darstellungen Buddhas oder Bodhisattvas. Hier zieht mein Freund Bernd Bilder des Dalai Lama aus der Tasche, die er im Jahr zuvor bei einem Besuch in Dharamsala geschossen hatte. Bei den tibetischen Erwachsenen ruft dies eine Verzückung hervor, wie vorher die Bonbons bei den Kindern. Enttäuschung macht sich erst breit, als klar wird, dass die Bilder nicht für alle reichen.

Die Nepalis sind große Holzschnitzer. Schnitzereien an Fenstern, Dachstreben und Türsimsen, Palästen und Tempeln sind Beleg dafür, dass diese Tradition schon seit Jahrhunderten gepflegt wird. Die Darstellungen sind dem Kamasutra und den indischen Epen Ramayana und Mahabarata entlehnt. Die schönste Ausprägung dieser Kunst findet sich im Pfauenfenster von Bhaktapur, obwohl nur von einer kleinen Seitenstrasse, immer im Schatten liegend, zu sehen, erahnt man die Schönheit dieses filigranen Gebildes.

Patan ist ein Zentrum der Töpfer. Rund um den Marktplatz haben die „Gebrauchskünstler“ ihre Irdenwaren vor dem Brennen zum Trocknen aufgestellt. In offenen Unterständen treten die Töpfer den Ton zum Teil mit den Füssen. Mit dicken Knüppeln treiben sie schwere, steinerne Töpferscheiben an, halten diese am rotieren, packen den Ton auf die Scheibe und formen aus dunkler Tonerde Krüge und Schüsseln. Frauen und Kinder versehen die halbfertigen, zerbrechlichen Gebilde abschließend mit Henkeln, Ausgiessern und Deckeln.

Am Abend sind wir wieder zurück in unserer Oase der Ruhe, dem kleinen Hotel Harati, im Herzen Kathmandus. Draußen geht gerade ein sintflutartiger Regen herunter, es knallt zwei-, dreimal und dann ist es dunkel. Stromausfall ! Kein Wunder, wenn man die offen stehenden Verteilerkästen und die abenteuerliche Leitungsführung in den Straßen gesehen hat. Während die Hotelangestellten durch Treppenhäuser und Flure schleichen und lautlos überall Teelichter aufstellen, liege ich auf meinem Bett und lasse die wenigen Tage, die wir hier verbracht haben, vor meinem inneren Auge vorüberziehen.

Ich werde wiederkommen, in dieses kleine Land am Rande des Himalaya und neue Abenteuer erleben um neue Geschichten zu erzählen, mit meinen Bildern und in Worten. Schließen möchte ich diese Geschichte jedoch nicht mit meinen Worten, sondern mit den Worten eines weisen Mannes, an denen der indische Subkontinent so reich ist.

Wer Bäume setzt, obwohl er weiß, dass er nie in Ihrem Schatten sitzen wird, hat zumindest angefangen, den Sinn des Lebens zu begreifen“. (Rabindranath Tagore)