Ténéré – …das Land dort draußen
Auf den Spuren der letzten Salzkarawanen

In seiner Ballade, Archibald Douglas lässt Fontane seinen Protagonisten sagen: “wo immer die Welt am schönsten war, da war sie öd’ und leer“. Was Fontane als negativen Vergleich zu „Heimat“ wählte, ist für mich schon seit vielen Jahren, zur Wahrheit geworden. Zu den schönsten Plätzen der Welt zählen öde Landstriche, wo unser Blick auf das Wesentliche reduziert wird, und wir unser Vorstellung von Zivilisation (für eine Weile) eintauschen gegen eine Welt, in der es um „Leben und Überleben“ geht.

Noch im 18. Jahrhundert wiesen geographische Karten des afrikanischen Kontinents, die Sahara als großen hellen Fleck aus, über dem der Schleier des Geheimnisvollen lag.

Wenn auch heute noch recht verschwommene Vorstellungen über die Wüste vorherrschen, – für viele gilt die Sahara als riesiges Sandmeer -, so mag dies seinen Grund darin haben, dass die Erforschung dieser unzugänglichen Gebiete, im Vergleich zu anderen Regionen unserer Erde, erst spät begann. Es wird wohl auch noch einige Zeit dauern bis sich herumgesprochen hat, welche Schönheiten und welche landschaftliche Vielfalt die Sahara in Wirklichkeit in sich birgt.

Mein Freund Seddik Mehiri, Tuareg aus Tamanrasset, mit Familie und Wohnsitz in Deutschland, erzählte immer wieder von den letzten Salzkarawanen, die in jedem Winter von Agadez aufbrechen, um die abgelegen Oasen der Ténéré mit Hirse und Lebensmitteln zu versorgen um dort Salz zu handeln, das in den Salinen von Bilma und Fachi abgebaut wird, und, mit den Karawanen seinen Weg in die Staaten des westlichen Afrika nimmt.

Angeregt durch diese Schilderungen, starteten wir am Neujahrstag via Paris nach Niamey, der Hauptstadt des Staates, der an dem gleichnamigen sich träge dahin windenden Niger-Strom liegt, der die Lebensader der Sahel-Staaten ist. Danach noch einen „kleinen“ Sprung von 1.000 km, auf guter Teerstraße, und wir sind in Agadez, jener Stadt aus tausendundeiner Nacht, erbaut in traditioneller Lehmbauweise.

Wir machen Quartier, im besten aber auch einzigen Hotel am Ort, dem Hotel Tidene und erkunden am folgenden Tag die Stadt, die Marktplatz für Tuareg, Tubus, Haussa und Peulh ist. Gehandelt wird hier mit allen Lebensnotwendigkeiten, vor allem aber mit Kamelen und Vieh. Unweit des Kamelmarktes hat der alte Silberschmied Mohamed Koumama seine Werkstatt. Auch wenn die vielen „Tuareg-Kreuze“ und Amulette immer weniger Silber enthalten, entstehen hier viele dieser Präziosen, nach einer überlieferten Silberschmiedekunst in der Technik der „verlorenen Form“.

Mittelpunkt und Herz der Stadt ist die Moschee aus dem 12. Jahrhundert. Obgleich das Minarett nur 27 m hoch ist, überragt es doch die flachen, dahingeduckten schachtelförmigen Lehmhäuser, und bietet an klaren Tagen einen phantastischen Ausblick auf die fernen Berge des Aїr-Massivs.

Hinter Agadez enden alle Wege. Hier beginnt die lebensfeindliche Ténéré-Wüste, eine schier unendlich scheinende, topfebene Sandfläche, zwischen dem Aїr-Gebirge und dem Djado Plateau, mit nur wenigen Wasserstellen und Oasen. In Agadez treffen wir Achmed Tchouli, einen erfahrenen Karawanier, der uns führen wird.

In den ersten Tagen werden wir von einem heftigen, unangenehmen Wind begleitet, der den Sand in Bodenhöhe vor sich hertreibt. In der ersten Nacht, die wir in unserem Camp unter freiem Himmel verbringen, erklärt Achmed uns, dass wir eine große Karawane suchen werden, die am 29.12. mit 200 Kamelen, beladen mit Hirse für die Oasenstadt Bilma, aus Agadez aufgebrochen ist. Früher habe es Karawanen von 1000 Kamelen und mehr gegeben, berichtet er wehmütig, aber die junge Generation wolle die Strapazen, welche das Leben eines Karawaniers mit sich bringt, nicht mehr auf sich nehmen.

Nach drei Tagen erreichen wir den Abre du Ténéré, einen Brunnen, der früher von einer großen Schirmakazie beschattet wurde. Trotzdem der einzige Baum weit und breit, hat ein betrunkener Lastwagenfahrer ihn im Jahr 1973 vom Leben zum Tode befördert. Heute stehen die Fragmente des Baumes im Nationalmuseum von Niamey, und der Brunnen wird weithin sichtbar von einem „Eisenbaum“  aus Auspuffrohren markiert, an dem Teilnehmer der Rallye Paris-Dakar, Radkappen, Spiegel und sonstigen Schrott gehängt haben.

Hier am Abre, treffen wir auf „unsere“ Karawane, die im letzten Abendlicht lagert und Wasser für die kommenden Tage schöpft. 20 Tagesmärsche, beträgt der Weg von Agadez nach Bilma, und der Brunnen am Abre du Ténéré ist, neben der Oase Fachi, die einzige Möglichkeit um Wasser zu bunkern. Sofort gefangengenommen von der Atmosphäre, kommen wir schnell mit den Karawaniers ins Gespräch.

Die Karawane wird von 30 Begleitern geführt, auch kleine Jungs sind dabei, die Ihren Vater zum ersten Mal begleiten dürfen. Wir sehen wie ärmlich das Leben dieser Menschen ist. Hier wird Hirse gestampft, Feuerholz gehackt, Gerbas mit Wasser geschleppt und Sisalmatten werden für das Nachtlager ausgebreitet. Doch noch wichtiger ist es die Kamele zu versorgen. Sie müssen jeden Morgen und jeden Abend beladen werden, und tragen auf dem Hinweg ca. 100 kg Hirse und riesige Heubündel als Futter.

Wir kommen überein, dass wir die Karawane einige Tage begleiten dürfen. Nach 3 Tagen erreichen wir als erstes Etappenziel, die Oase und die Salinen von Fachi. Unsere Ankunft dort verläuft eher tumultartig. Eine riesige Kinderschar heißt uns willkommen, und man merkt schnell, dass hier die Erziehung den Müttern überlassen bleibt, und die führende Hand der Väter – die zumeist als Gastarbeiter in Libyen arbeiten – fehlt. Wir flüchten uns zurück in die Ruhe der Wüste und schlagen unser Lager einige Kilometer außerhalb der Oase auf.

Am kommenden Tag fahren wir voraus in die Oase von Bilma, die überwiegend von Kanuri und Tubu besiedelt wird. Schon von Ferne macht die Ansiedelung einen gepflegten Eindruck. Seit Jahrhunderten, wird hier in den Salinen von Kalala, Salz abgebaut. In tiefen Gruben, stehen die schwarzen Salinenarbeiter, in knöcheltiefem Salzwasser, das sich je nach Mineralgehalt in dunklem braun, blutrot, ocker oder kristallweiß in der Sonnenlicht spiegelt. Hier fördern sie das grobkörnige Bezasalz, das zum Kochen verwendet wird, aber auch das Kantusalz, das als Viehsalz geschätzt wird und in ausgehöhlten Palmholzformen zu Salzstöcken geformt und getrocknet wird. Dies ist die Handelsware der Salzkarawanen.

Wir verlassen Bilma, und treffen in der Nähe des Brunnen von Achegour, auf eine merkwürdige LKW-Kolonne. Fröhlich winkend grüßen uns die Fahrgäste, aus der Höhe, der total überladenen Gefährte. Neben der Ladung befördern die altersschwachen Vehikel auch eine menschliche Fracht. 30 – 40 Männer, Gastarbeiter, benutzen diesen „Omnibus“. Sie wollen nach Libyen, dem Land, in welchem für sie Milch und Honig fließen. Eine weite Reise haben sie bereits hinter sich, sie kommen aus Guinea, Gambia oder dem Senegal und wissen nicht, dass die libyschen Grenzen ebenso scharf bewacht sind wie die unsrigen, und die Soldaten Ghadafis sie ungerührt zurückschicken werden, wenn sie aufgegriffen werden.

Nach wenigen Tagen sehen wir im Dunst der Ferne die dunklen Silhouetten der Höhenzüge des Aїr. Die Ostseite dieses Gebirges zählt sicher zu den schönsten Landschaften der Sahara. Hier ist die Heimat der Tuareg Kel Aїr, der stolzen blauen Ritter der Wüste, die hier, wie seit Hunderten von Jahren, als Nomaden leben.

In Wellen aus weißem, gelbem und rötlichem Sand branden hier die hohen Sicheldünen gegen die Barriere aus schwarzem Lava-Gestein, die das Aїr hier, gleich einem Riegel bildet. Bis zu 2000 m erheben sich die Gipfel mit їihren stark zerklüfteten steinernen Zinnen über der Ebene. Die schönsten Dünen finden wir um Adrar Medet, Arakaou und Adrar Chiret. Feinster unberührter Sand, dessen Strukturen das Auge des Betrachters immer wieder fesseln. Traumhaft schön ist es, nach einer klaren, bitterkalten Nacht, unter dem Sternenzelt, aus dem warmen Schlafsack heraus diese Dünenlandschaft zu betrachten. Einen besonderen Kontrast zu den ansonsten schwarzen Felsen, bildet Isousadan, ein Gebiet, das man die blauen Berge nennt. Es sind Marmoraufschüttungen aus grauem Gestein, das vor der Kulisse des immerblauen Himmels, je nach Sonnenstand, eine fast kobaltblaue Tönung annimmt.

Bei Kogo treffen wir Wanderhirten, die mit Sack und Pack unterwegs sind, um ihre Tiere in den grünen Oueds weiden lassen, in denen es Wasser gibt. Der karge Hausrat besteht aus einem Zelt, Decken als Schutz gegen die Kälte der Nacht, sowie einigen Kesseln und Töpfen. Ihr ganzer Reichtum sind die Herden. Wir sehen Kamele und Ziegen, aber auch Esel. Manche Szenen muten fast biblisch an, so müssen auch die Menschen zur Zeit von Jesu Geburt gelebt haben. Die Nomadenfamilien sind autark, und verdienen das wenige Geld, welches sie für die Dinge des Alltags benötigen – die sie nicht selbst herstellen können – durch den Verkauf eines eher fade schmeckenden Ziegenkäses und mit dem Handel von Kunsthandwerk. Es ist manchmal fast komisch, dass hier im „Land der großen Leere“, in dem man wochenlang keinen Menschen trifft, am Wegesrand eines ausgetretenen Kamelpfades ein Händler seine Decke ausbreitet, und sein Sortiment aus Silberschmuck und Speckstein-Schnitzereien zum Verkauf feilbietet.

Id al-fitr ist das Fest des Fastenbrechens, das Ende des Ramadan, an diesem Tag erreichen wir Iferouane, die schönste Oase des Aїr. Hier schmiegen sich flache Lehmhäuser und Schilfhütten aus den Blättern der Dum-Palme, an die Berghänge, umsäumt von grünen Gärten, die einen prächtigen Kontrast zu der Gebirgslandschaft abgeben. Das Fest ist bereits in vollem Gange als wir eintreffen. Wir sehen stolze Tuareg in indigofarbenen Gewändern und Frauen in kunstvoll mit Pailetten bestickten Kleidern.

Unsere Ankunft ist sofort Ortsgespräch, und wir werden sofort eingeladen. Gastfreundschaft gilt hier viel, sollte aber nicht überstrapaziert werden.

Nach wenigen Tagen kehren wir zum Ausgangspunkt unserer Reise, nach Agadez zurück. Hier trennen sich unsere Wege und wir müssen Abschied nehmen von neu gewonnenen Freunden.

In der Erinnerung bleiben uns nicht nur die großartigen Landschaften und erlebten Abenteuer, sondern vor allem die Menschen, die trotz Ihrer Armut sich eine Würde und Lebensweise bewahrt haben, von der wir, die wir aus der sogenannten Zivilisation kommen, viel lernen können.

Zuhause an einem kalten Winterabend, blättere ich in einem Band des französischen Fotografen Jean-Marc Durou und lese:

„Denn die Wüste wird immer stärker sein als der Mensch. Man muß, um hier zu leben, ebensoviel Selbstbescheidung wie Mut aufbringen. Die Wüste ist für mich außergewöhnlich schön und rein, erschütternd und bezaubernd zugleich. Jedes Mal, wenn ich ihr gegenüberstehe, führt sie mich auf eine erregende Reise in mein eigenes Ich, in dem wehmütige Erinnerungen, Befürchtungen und Hoffnungen des Lebens miteinander ringen“.