Survival of the fittest
Der amerikanische Photograph Lewis W. Hine hat den Satz geprägt: „Wenn ich die Geschichte in Worten erzählen könnte, brauchte ich keine Kamera herumzuschleppen“. Ein Zitat, das geradezu geschaffen ist, mein Dilemma mit dem Paradies Galápagos zu beschreiben. Von einem Paradies in Worten zu berichten ist immer schwer, und wird diesem nie gerecht. Ich bin Photograph und kein Naturforscher. Vom Paradies wird es daher mehr Bilder als Geschichten geben.
Darwin und die Folgen
…und Gott sprach: „Das Wasser soll von Leben wimmeln, und in der Luft sollen Vögel fliegen“. So steht es in der Genesis im 1. Buch Mose. Das Ganze geschah am 5. Tag. Bedenkt man die Vielfalt der Geschöpfe, die den Galápagos-Archipel bevölkern, muss der liebe Gott von den 24 Stunden des 5. Tages mindestens die Hälfte auf Galápagos zugebracht haben. Wenn man sich nicht zu den Kreatonisten zählt, weiß man, dass man diese Geschichte nicht wörtlich nehmen darf, spiegelt sie doch den Konflikt zwischen Glauben und Wissen.
Am 27. Dezember 1831 begab sich der Mann, der die Gedankenwelt der Theologen und Naturwissenschaftler ins Wanken brachte, an Bord der Dreimastbark H.M.S. Beagle. Fünf Jahre sollte die Reise von Charles Darwin dauern und nur fünf Wochen davon kreuzte die Beagle im Seegebiet von Galápagos. „Der 5. Tag.“ Die Expedition der Beagle war keine naturkundliche. Die Admiralität entsandte den kleinen Segler unter dem Kommando des legendären Kapitäns Robert Fitz Roy zur Vermessung und Kartographie der noch weißen Flecken auf dem Globus.
Nur wenige Tage Landgang waren dem von beständiger Seekrankheit geplagten Darwin vergönnt. In dieser kurzen Zeitspanne legte er den Grundstein zu seiner revolutionären Theorie von der „Entstehung der Arten“. 24 Jahre – und der Druck anderen naturwissenschaftlichen Arbeiten zuvor zu kommen – bedurfte es, dass Darwin seine Forschungen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machte. Er wusste genau in welches Dilemma er sich begab. Wäre er klüger beraten gewesen, wenn sein Werk den Titel von der „Entwicklung der Arten“ getragen hätte? Eine akademische Diskussion!
Am 29. April 1882 starb der große Forscher im Alter von 73 Jahren in seinem Haus in Downe, in dessen Studierzimmer er wohl immer wieder an Galápagos zurück gedacht haben wird. Die Bedeutung seiner Arbeit für die Nachwelt manifestiert sich daran, dass er in der Westminster Abbey an der Seite des großen Isaac Newton beigesetzt wurde.
Von der Arche Noah zum Öko-Tourismus
Warum zieht es die Menschen nach Galápagos? Sind es doch nur neunzehn karg bewachsene Vulkaninseln im Ostpazifik, rund 1000 km vor der Küste Ecuadors. Die Entdeckung verdankt der Archipiélago de Colón, so der offizielle Name der Galápagos-Inseln, einem Zufall – oder besser gesagt einem Unfall. Am 10. März 1535 kam das Schiff des damaligen Bischofs von Panama, Tomás de Berlanga, auf dem Weg nach Peru vom Kurs ab und strandete auf einer der Galápagos Inseln. Zuerst bezeichnete man die Inseln als „Islas Encantadas“, was soviel heißt wie „die verwunschenen Inseln“, weil man sich ganz einfach nicht vorstellen konnte, so weit draußen im Ozean noch auf Land zu treffen. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts erhielten die Inseln den Namen „Galápagos“ nach den dort lebenden Riesenschildkröten. Im Jahr 1832 nahm General José María Villamil die Inseln für Ecuador in Besitz. Seit 1959 ist Galápagos Nationalpark und erhielt 1978 den UNESCO-Status als Weltnaturerbe.
Die Tierwelt zu Lande, zu Wasser und in der Luft ist einzigartig, und nirgendwo auf der Welt sind Tiere vertrauter mit dem Menschen als hier. Der angeborene Fluchtinstinkt ist ihnen verloren gegangen. Ein Indiz dafür, dass die Tiere keine schlechten Erfahrungen mit dem Menschen gemacht haben, und das Nationalparkkonzept aufgeht. Einzig Flamingos, Krabben und Schildkröten halten wachsame Distanz zu uns Zweibeinern. Es gibt so viel zu sehen. Die Vogelwelt ist vielfältig: Albatrosse, Fregattvögel, Pelikane, Nazca- Rot- und Blaufußtölpel. Gabelschwanzmöwen, Galápagos-Pinguine, Kormorane und, und, und… sie alle zeigen keinerlei Scheu. Im Gegenteil, der Mensch muss bei seinen Exkursionen auf den Inseln aufpassen, dass er nicht unbeabsichtigt in ein Gelege tritt.
Völlig unbeeindruckt von menschlichen Besuchern verhalten sich auch Pelzrobben, Seebären und Seelöwen. In großen Kolonien bevölkern sie die Strände von Rábida, Santa Cruz, Fernandina, Espanola oder San Cristobal; – dösen mit vollgeschlagenen Bäuchen in der Sonne, und heben kaum den Kopf wenn ein Besucher sich nähert. Meine absoluten Favoriten jedoch sind Landleguane und Meerechsen. Wie kleine Drachen sehen sie aus, diese Urviecher. Wie viele Arten auf Galápagos haben sich auf den einzelnen Inseln Unterarten entwickelt, die – je nach Lebensraum – in Größe und Färbung variieren. Trotz ihres martialischen Aussehens sind beide Reptilienarten Pflanzenfresser und absolut friedfertige Zeitgenossen, deren Hauptbeschäftigung aus Fressen und Verdauen besteht.
Die Regeln des Nationalparks sind streng. Auch wenn die in den letzten Jahren stark gestiegenen Besucherzahlen sich zwischen 70.000 und 90.000 Touristen einpegeln sollten, geht die Regierung verantwortungsvoll mit Fragen des Naturschutzes um. Von den neunzehn Inseln sind nur Isabela, Santa Cruz, Floreana und San Cristobal besiedelt. Den Zuzug vom Festland will man begrenzen und die Touristenzahlen über hohe Preise und Schiffskapazitäten regulieren. Betriebsgenehmigungen gehen nur an Reeder, deren Schiffe unter ecuadorianischer Flagge fahren. Bei den meisten Schiffen handelt es sich um Motoryachten oder Motorsegler. Jede Gruppe wird von einem Guide der Nationalparkverwaltung begleitet. Die maximale Gruppengröße beträgt 14 Besucher. Bei den Exkursionen auf den Inseln dürfen die markierten Wege nicht verlassen werden. Anlandestellen werden jährlich neu festgelegt, einzelne Inseln oder Anlandestellen werden im Folgejahr gesperrt und andere geöffnet, damit die Natur sich erholen kann und im Gleichgewicht bleibt.
Obwohl Ecuador das zweitärmste Land Südamerikas ist und jeden Dollar aus dem Tourismus gut gebrauchen kann, ist diese Form von sanftem Tourismus vorbildlich. Das sind zunächst viele Zahlen und Fakten; trockene Kost für den Reisebericht über ein Paradies, aber es braucht auch dies, um zu verstehen was Galápagos wirklich ist. Und es bleibt uns die heute noch gültige Erkenntnis des großen Zoologen Alfred Brehm:
„Noch sind wir weit entfernt, das tierische Leben erkannt zu haben, und noch studieren wir an Tieren, in der Absicht, uns selbst kennenzulernen“. (Alfred Brehm)
What a feeling – Coco Loco in Puerto Villamil
Die weißen, feinen Sandstrände von Galápagos vermitteln ein wenig Karibik-Feeling. Da hat man die schlanken, sonnengebräunten Girls vor Augen, die in der Bacardi Werbung unter tropischen Palmen posieren. Doch Galápagos ist weder Varadero noch hat es etwas mit der Deutschen liebster Badeinsel Mallorca gemein. Ballermann und Schinkenstraße wird man in Puerto Ayora oder Puerto Villamil vergebens suchen…und das ist auch gut so.
Auch wenn die Inseln direkt unter dem Äquator liegen, die Sonne erbarmungslos vom Himmel brennt, die Strände weiß und unberührt sind, das Wasser des Humboldt-Stroms ist kalt. Und wer sich in die Fluten wagt, wird sich bald das Fellkleid der Pelzrobben oder die dicke Fettschicht der Seelöwen wünschen.
Galápagos, das ist nicht Massentourismus und Ecuador ist Entwicklungsland. Die wenigen Ansiedlungen auf den Inseln wirken alle ein wenig unaufgeräumt, die Häuser sind in bunten Farben getüncht, auf den Straßen gibt es nur wenig Verkehr; sie sind mehr Spielplatz der Kinder. Zusammengenommen macht dies den Charme dieser Orte aus. Puerto Ayora auf Santa Cruz ist Einkaufszentrum für gutbetuchte „Kreuzfahrer“. Hier gibt es alles – vom billigen Tand bis zu geschmackvollem Kunsthandwerk. Über den Cafes und Bars liegt schon ein Hauch von „What a Feeling“.
Puerto Villamil, die einfachere Ausgabe von Puerto Ayora, ist ein verschlafenes Nest an der Südspitze von Isabela. Hier tummeln sich Backpacker mit kleinem Budget aus aller Welt, die Galápagos als Island-Hopper erkunden. Für Ausflüge ins Hochland hinauf in die Sierra Negra ist Puerto Villamil ein idealer Ausgangspunkt. Wer nach langer Wanderung im knöcheltiefen Morast des Anstiegs zum Vulkankrater zum Strand zurückkommt, hört schon von weitem die Musik aus Bebeto’s Bar.
Bebeto ist ein Beatles-Fan. „Yesterday“ und „Let it be“ gibt es als Endlosschleife, gratis dazu ist der traumhafte Blick über den weißen Strand hinaus auf das türkisgrün schimmernde Meer – und einen eisgekühlten Coco Loco dazu! Was das ist ? Na ! „verrücktes Wasser“ !
Der „Einsame George“ und der menschliche Erkenntnis-Gewinn
Fast alle Zeitungen der Welt berichteten in den letzten Wochen über den Tod des „Einsamen George“. Auf den Galapagos-Inseln war die etwa 100 Jahre alte Pinta-Schildkröte „Lonesome George“ als letzte ihrer Art gestorben.
George war nur ein prominentes Beispiel für das anhaltende Verschwinden von Tier- und Pflanzenarten. Der WWF schätzt, dass pro Stunde allein in den tropischen Regenwäldern drei Tier- und Pflanzenarten ein für allemal aussterben. Der renommierte US-Biologe Professor Wilson geht davon aus, dass wir zurzeit pro Tag 180 Tier- und Pflanzenarten ausrotten. Wir sind die erste Generation, die Evolution rückwärts spielt. Denn die Hauptursachen des Artensterbens ist eine falsche Energie- und Landwirtschaftspolitik.
Von Georges Tod war die Welt emotional betroffen. Er war ja auch so niedlich mit seinem langen Hals und so einsam ohne „Turtlefrau“. Schon seit Jahren wurde er deshalb von der gesamten Weltpresse als das ‚“einsamste Tier auf unserem Planeten“ bejammert. Ist ja auch schrecklich, wenn der letzte seiner Art ohne Frau leben muss. Alle Versuche ihm artverwandte, attraktive Damen zuzuführen waren einfach vergeblich. Wir waren eine Woche vor Georges Tod noch auf Galápagos auf den Spuren von Charles Darwin. Selbst dort in Darwins Tier- und Pflanzenparadies hat der globale Klimawandel zugeschlagen. An den Küsten sahen wir ganze Friedhöfe von Korallen. Wie anderswo sind auch hier in den letzten Jahrzehnten sämtliche Korallenbänke abgestorben.
Das Artensterben ist in den Medien schon lange so gut wie kein Thema mehr, dabei ist das heutige Artensterben noch den Erkenntnissen von Professor Wilson dramatischer als das letzte große Sterben vor 65 Millionen Jahren als die Dinosaurier verschwanden und mit ihnen 95 % aller damaligen Arten. Die Natur und die Evolution mussten praktisch nochmals von vorne beginnen.
Der Unterschied zwischen dem damaligen und dem heutigen Artensterben ist freilich gravierend: Vor 65 Millionen Jahren waren Naturereignisse die Ursache, heute ist es der Mensch. Das heißt aber auch, dass es noch eine Chance gibt, zumindest das Schlimmste zu verhindern. Wenn wir es wirklich wollen.
Vielleicht hilft uns ja der Tod von „Lonesome George“ zu ein wenig Erkenntnis-Gewinn. Es könnte sonst passieren, dass nicht nur George einsam war, sondern auch wir Menschen es werden. © Franz Alt 2012
17 Mann auf des toten Mann’s Kiste und El Nino das himmlische Kind
Wann immer ich von Piraten höre, denke ich nicht an Somalia, Johnny Depp oder die gleichnamige Partei, die in diesen Tagen soviel Furore macht. Nein, meine Gedanken schweifen zurück an kalte Tage zwischen Weihnachten und Neujahr an denen die x-te Wiederholung der Verfilmung von Stevensons Schatzinsel über die Mattscheibe flimmerte. Ich sehe den einbeinigen Schiffskoch John Silver, Doctor Livesey und Jim Hawkins vor mir; und das alte Gasthaus Admiral Benbow. Kindheitserinnerungen prägen eben doch.
Die Geschichte der Freibeuter auf Galápagos ist schnell erzählt. Die unermesslichen Reichtümer der spanischen Besitzungen in der neuen Welt, zogen im 17. Jahrhundert jede Menge lichtscheues Gesindel an. Auch Monarchen die über ihre Verhältnisse lebten sahen in der Ausgabe von Kaperbriefen eine gut Möglichkeit die Staatsfinanzen aufzubessern. Galápagos lag günstig an den Schiffahrts- und Handelsrouten zwischen dem eroberten Inkareich hoch in den Anden, Panama und Neuspanien, dem heutigen Mexiko. Im späten 17. Jahrhundert bot Galápagos vielen finsteren Gesellen Unterschlupf. Ambrose Cowley war einer von ihnen. Von 1684 an trieb er sein Unwesen vor den Küsten Südamerikas. Ihm verdanken wir erstes Kartenmaterial und den Umstand, dass die meisten Inseln des Archipels sowohl einen englischen, als auch einen spanischen Namen haben. Ansonsten hat Cowley wenige Spuren auf Galápagos hinterlassen, einzig ein kleines Inlet an der Ostseite von Isabela erinnert an ihn. Auch Tagus Cove; ebenfalls auf der Insel Isabela gelegen, soll einst ein Piratenversteck gewesen sein. Was die suchten, ließ sich hier finden. Eine ruhige, abgelegene Bucht, frisches Wasser und Lebensmittel. Zu tausenden wanderten die großen Riesenschildkröten quasi als lebendiger Proviant an Bord der Piratenschiffe und später der Walfänger. Sie haben die „sanften Riesen“ fast ausgerottet.
Wer heute nach Tagus Cove kommt, kann an einem lauen Morgen den überwältigenden Blick auf die türkisgrüne Salzwasserlagune die einen Einbruchkrater füllt, und den nur durch einen schmalen Grat getrennten Fluten des stahlblauen Pazifik geniessen. An der Landestelle haben sich sozusagen in Form von „Vorzeit-Graffiti“ frühere Seefahrer verewigt. Da findet man die H.M.S. St., George 1924 oder die H.M.S Victoria 1836, und die chilenische Yelcho 1913, was immer sie an diesen einsamen Ort verschlagen hat, bleibt im Dunkeln.
Das Christkind bringt alljährlich die guten Gaben. Warum die Umweltkatastrophe El Nino ausgerechnet nach dem Christkind benannt ist ? Geprägt haben peruanische Fischer diesen Begriff. Es beschreibt ein zyklisches, vorwiegend um die Weihnachtszeit auftretendes Wetterphänomen. Man könnte es eine Anomalie der ozeanographisch-meteorologischen Strömungsverhältnisse im äquatorial-pazifischen Raum nennen, aber das wäre zu akademisch. Die Ursachen von El Nino sind gut erforscht Durch Passatwinde kommt es vor der Küste Südamerikas zum Auftrieb kalten Tiefenwassers, was den kalten Humboldtstrom abschwächt, das Plankton absterben lässt und zum Zusammenbruch der Nahrungsketten führt. Das herangeführte wärmere Oberflächenwasser beeinflusst das Wetter. El Nino bringt den Galápagos-Inseln sintflutartige Regenfälle und Überschwemmungen. Der El Nino des Jahres 1997/98 war extrem. Die Wassertemperatur lag 7° C über dem Durchschnittswert. Die Stürme und Springfluten haben die Unterwasserwelt vor Galápagos nachhaltig geschädigt und viele Korallenbänke unwiederbringlich zerstört.
Während weite Teile der Geschichte der Freibeuter im Dunkel bleiben, gibt es zum Thema El Nino viel Erhellendes. Wer allerdings El Nino einzig dem Klimawandel zuschreibt, springt zu kurz. Die ältesten Aufzeichnungen zum „stürmischen Christkind“ stammen aus dem Jahr 1726 und das Phänomen hat und wird sich alle paar Jahre wiederholen. Aktuellen Forschungsergebnissen zufolge gab es bereits zu Beginn des Holozäns, also vor etwa 10.000 Jahren starke Hinweise auf das, was wir heute El Nino nennen; – nur das Christkind war zu dieser Zeit nicht einmal geboren ;-))
Mord und Totschlag im Paradies
Seit der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Garten Eden und der Geschichte von Kain und Abel wissen wir, dass auch im Paradies nicht alles Gold war, was glänzt. Eine Geschichte, die um die Welt ging, spielt auf der Insel Floreana in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts und die meisten der Akteure stammen aus Deutschland.
Die Geschichte hat alles was einen guten Krimi oder Horrorfilm ausmacht. Da gibt es den gruseligen Doktor mit dem Stahlgebiss, seine Muse, die intrigante Gräfin mit ihren Liebhabern und die braven Siedler. Aber es war kein Film, es war die nackte Realität. Anfang der 30er Jahre war die Familie Wittmer von Köln nach Floreana ausgewandert.Die Sorge um die Gesundheit des Sohnes Harry, und die Lektüre von William Beebes Buch „Galápagos – Das Ende der Welt“, hatten den Ausschlag gegeben, dass Margret und Heinz Wittmer Europa den Rücken kehrten. Vielleicht war es auch schon ein wenig Vorahnung der dunklen oder – besser gesagt – braunen Wolken, die über Deutschland heraufzogen.
Die Anfangsjahre auf Floreana waren hart. Der Boden musste urbar gemacht und fast alle Dinge des täglichen Gebrauchs selbst gefertigt werden. Wegen des fehlenden Baumaterials zogen Wittmers zunächst in eine Höhle, die in grauer Vorzeit wohl Piraten Unterschlupf gewährt haben mag. Dies war ihr erstes Zuhause auf Floreana. Hier wurde ihr Sohn Rolf geboren.
Die wenigen Siedler, welche die Insel in jenen Tagen bevölkerten, waren der seltsame Dr. Ritter; – Zahnarzt aus Berlin, der mit seiner Muse Dore Strauch seinen kuriosen philosophischen Träumen nachhing. Die Baronin Wagner mit ihren Liebhabern Lorenz und Philipson hatte den Traum vom Fünfsterne-Hotel für reiche Amerikaner, und eben Familie Wittmer.
Getreu dem Motto: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt“, und mit deutscher Gründlichkeit machten sich die Siedler gegenseitig das Leben schwer. Es war ein großes Melodram aus Lügen, kleinen Diebereien und wahrscheinlich vielen Missständen, die bis heute ungeklärt sind. Sozusagen XY-ungelöst auf Galápagos. Zieht man einen Strich unter die Geschichte, sieht die Bilanz so aus: Die Baronin und einer ihrer Getreuen verschwanden spurlos, ein weiterer ihrer Domestiken verdurstete mit zwei Seeleuten nach Schiffbruch auf der Insel Marchena, wo man ihn nie vermutet hatte. Dr. Ritter, der Vegetarier, der sich alle Zähne hatte ziehen lassen und sich ein Stahlgebiss mit der ebenfalls zahnlosen Dore Strauch teilte, starb ausgerechnet an Fleischvergiftung, – und Dore Strauch verstarb viele Jahre später verwirrt in einer Berliner Irrenanstalt.
Dass so viele Mysterien die Legendenbildung beförderten und die Spekulationsfreude von Zeitungen in aller Welt beflügelten, nimmt nicht Wunder. Margret Wittmer, die vielleicht als letzte lebende Augenzeugin Licht ins Dunkel hätte bringen können, hat des Rätsels Lösung mit ins Grab genommen. Sonst noch was? Ja ! Die Nachfahren der Familie Wittmer leben bis auf den heutigen Tag auf den Galápagos-Inseln. Das alte Haus der Wittmers an der Black Beach auf Floreana ist einem schlichten Hotel gewichen. Inge, die Tochter von Heinz und Margret Wittmer ist heute 75 Jahre alt, sie kommt gerne in den Souvenirshop des kleinen Hotels wenn Yachten in der Bucht anlegen, um Neuigkeiten zu erfahren, die man vielleicht nicht in der Zeitung lesen kann.
Der Sohn Rolf war der Begründer des sanften Tourismus auf Galápagos. In einer „Seeräuberhöhle“ geboren, obwohl geringer Schulbildung, hat er sich als Autodidakt Kenntnisse im Bootsbau beigebracht und ist Kapitän und Eigner einer kleinen Flotte geworden. Auf seiner Yacht, der Tip Top III, sind wir durch den Galápagos Archipel geschippert. Rolf Wittmer ist vor wenigen Jahren gestorben. Von der großen Wertschätzung, die ihm der Staat Ecuador für die Entwicklung des Tourismus auf Galápagos zollt, zeugt eine Gedenktafel zu seinen Ehren im Hafen von Floreana. Und zuletzt ! Enthüllt wurde die Tafel durch den neuen Tourismus-Minister von Ecuador und der heißt, ohne Scherz: Freddy Ehlers ;-))
Zwei Dinge bestimmen wohin unsere Reise geht – Die Kraft der Träume und der Wind des Schicksals
Die Reise nach Galápagos war eine Traumreise. Am letzten Abend an Bord der Tip Top III sitze ich lange im Dunkeln auf dem Oberdeck und schaue in den unvergleichlichen Sternenhimmel. Hier ist Luft frei von Verschmutzung, der große Wagen und das Kreuz des Südens stehen klar über dem Horizont. Ich hänge meinen Gedanken nach, wie privilegiert ich bin, seit vielen Jahren solche Orte bereisen zu können.
Die Photographie lässt mich die Erinnerungen speichern. Es sind Erinnerungen an die „Verzauberten Inseln“, ein Zauber, den man an trüben Tagen hervorholen kann. Das Buch von Charles Darwin „Reise eines Naturforschers um die Welt“ rutscht bei einem leichten Verholen des Schiffes vom Tisch. Ich habe es ausgelesen auf dieser Reise und es geht mir ein wenig wie Darwin, der über seinen Besuch auf Galápagos schreibt:
„Es ist das Geschick der meisten Reisenden, sobald sie entdeckt haben, was an irgendeinem Ort das Interessanteste ist, eiligst fortgetrieben zu werden…“