Museum der Völker

Der Südwesten Äthiopiens, ist ein „Eth(n)opia“, ein wahrhaftiges Museum der Völker.

Addis Abeba ist wieder Startpunkt für unsere Reise. Gut zwei Tage fahren wir auf einer gut asphaltierten Straße, entlang des afrikanischen Grabenbruches, nach Süden. Viele Seen haben sich im Laufe der Jahrhunderte in den Senken des Rift-Valley gesammelt.

In Awassa, am Ufer des gleichnamigen Sees, auf halbem Wege, machen wir Station. Morgens gibt es hier einen kleinen Fischmarkt, bei dem die Fischer ihren kargen Fang gleich am Ufer verkaufen, und ein Schwarm Pelikane auf die Reste wartet.

In Arba-Minch, am Rande des Nechissar-Nationalparkes, beginnt das Abenteuer „Eth(n)opia“. Der Nechissar-Nationalpark, ist eine grüne Lunge mit geringem Tierbestand. Einzig die endemische Swaynes-Antilope oder vereinzelte Thompson-Gazellen kann man mit viel Glück und einem guten Fernglas aufspüren. Es wäre ein Paradies für Großwild , das man während der sozialistischen Ära gnadenlos bejagt hat. Eine leere Arche Noah !

Der Chamo-See, am Rande des Nationalparks, ist Brutplatz für große Wasservogel-Kolonien. Neben Pelikanen und Flamingos, tummeln sich Hippos und riesige Nil-Krokodile im Wasser. Die Fischer klagen über den eingewanderten Nilbarsch. Dieser große Räuber, dezimiert den Weißfischbestand so stark, dass wenig in den Netzen bleibt. Viele Fischer verfügen nicht einmal über ein Boot, sondern werfen Ihre Netze von wackelig zusammengebundenen Flößen aus Balsa-Holz aus. Bei den vielen Krokodilen im Wasser, ein aus Armut geborener Heldenmut.

Key’Afar, ein kleines Nest im Süden, ist der Marktplatz für die Völker des Südens. Hier treffen wir auf Banna und Tsemay, auch einzelne Hamar preisen hier Ihre Waren an. Gehandelt werden vor allem Feldfrüchte, wie Hirse, Sorghum und Mais. Aber in dem überschaubaren Warenangebot finden sich auch moderne Bekleidung und Dinge des täglichen Gebrauchs, wie Kalebassen und die unvermeidlichen Plastikschüsseln und Kanister.

Von Key’Afar aus führt unser Weg in den Mago-Nationalpark, hier lebt das Volk der Mursi, die uns als kriegerisch, schwierig und aggressiv beschrieben wurden. Das ist sicherlich wahr, aber – wie meistens nur die halbe Wahrheit. Die Mursi, die als viehzüchtende Nomaden in ständigem Konflikt um Weidegründe mit Ihren Nachbarn leben, haben fast keine Möglichkeit Geld zu verdienen, das sie für Ihren Lebensunterhalt benötigen, außer sie verkaufen ein Stück Vieh. Verkaufen ist leichter gesagt als getan, denn die Märkte in Key’ Afar, Jinka oder Turmi liegen 5–6 Tagemärsche entfernt und so ist die „Fotografiergebühr“, die wenigen Birr, die die wenigen Touristen in der Region lässt, die einzige zusätzliche Einnahmequelle.

Zum Schönheitsideal der Mursi-Frauen gehören Lippenteller und Ohrpflöcke, die auf sehr eigentümlich wirken. Warum eigentlich ? Piercing wird doch auch bei uns immer beliebter. Der Schmuck der Männer ist profaner und besteht aus Schmucknarben, die, wenn sie die Brust zieren, davon zeugen, wieviele Feinde er getötet hat.

Nur wenige Wegstunden entfernt, am „Knie“ des südlichen Omo-Flusses, leben die Karo, ein Volk welches, nur noch 3000 Menschen zählt. Der Nachmittag dort, gehört zu den Erinnerungen von denen Jean-Paul sagt, dass sie ein Paradies sind, aus dem man nicht vertrieben werden kann. Am Ufer des Omo-Flusses steht ein Dorf aus einfachen Rundhütten. Die Karo leben, wie die Mursi, von der Viehzucht, bauen aber auch an den krokodilverseuchten Flussufern Getreide an.

Die Männer, verzieren Ihre Körper mit Aschemustern. Jeder verfügt hier über eine Kalaschnikov.Das Auftreten den Fremden gegenüber ist jedoch freundlich und fast kommt so etwas wie gegenseitiges Verstehen auf, auch wenn Jahrhunderte zwischen uns liegen. Zum Höhepunkt versammeln sich alle Dorfbewohner auf dem großen Platz und verabschieden uns.

Nach einer Nacht in einem Buschcamp brechen wir am kommenden Tag nach Turmi auf. Turmi ist der Haupthandelsplatz im Stammesgebiet der Hamar. Die Hamar, sind ein stolzes, schönes Volk sesshafter Bauern, die in kleinen Familienverbunden auf Farmen, rund um Turmi lebt. Männer wie Frauen schmücken sich mit kunstvollen Frisuren. Für die gegenseitige Körperpflege – auch in der Öffentlichkeit – wird viel Zeit aufgewendet. Jeder Mann hat neben einem Stock, der ihn als Hirten ausweist, auch eine Kopfstütze bei sich, eine meist kunstvoll verzierte Ruhebank für das Haupt um die kunstfertige Frisur während des Schlafes nicht zu zerstören.

Die Tage in Turmi sind ein Eintauchen in eine andere Zeit. Wir besuchen eine Farm, auf der nach traditioneller Art ein Bulle „zur Ader gelassen“ gelassen wird. Dem Tier wird mit Pfeil und Bogen eine Ader geöffnet, ungefähr 2 ltr. Blut werden in einem Holzgefäß aufgefangen, – was dem Tier nicht schadet und was es auch mit wenig Gegenwehr erträgt -. Das Blut wird gerührt, damit es nicht gerinnt und dann mit Milch versetzt getrunken. Warum empfinden wir „Zivilisierten“ hier Ekel ? Wir essen doch auch Blutwurst.

Unweit dieses Platzes treffen sich Männer und Frauen zum Tanz. Die Frauen sind selbstbewusst, auch wenn die Aufgabenteilung zwischen den Geschlechtern klassisch afrikanisch ist. Die schweren Feld- und Hausarbeiten übernimmt die Frau.

Von Turmi aus unternehmen wir einen Abstecher nach Süden, zurück an den Omo-Fluß, der hier in den Turkana-See mündet, welcher zum größten Teil auf kenianischem Gebiet liegt. Wir besuchen ein Dorf der Galeb, die armen Verwandten der „schönen“ Hamar. Alles in dem Dorf an der staubigen Piste ist ärmlich. Wir sind möglicherweise die ersten Fremden, die in dieses Dorf kommen. Nach anfänglicher Scheu, springt der Funke der Neugier bald über. Es sind die vielen Kinder, über die eine Annäherung zustande kommt. Am Ende werden wir mit Gesang und Tanz verabschiedet.

Wir treten unseren Heimweg Richtung Norden an. Die Landschaft ist hügelig und mit Galeriewald, aus formvollendeten Schirmakazien durchsetzt, der sich mit offenen Savannen abwechselt. Hier treffen wir eher zufällig auf Frauen vom Stamm der Erbore. Die Männer sind bei den Herden oder auf der Jagd. Die Erbore sind ein Nomadenvolk, das eher im benachbarten Kenia beheimatet ist. Die Gesichtszüge der Menschen verraten ihre enge Verwandtschaft zu den Massai.

Da noch eine lange Fahrstrecke vor uns liegt, und regenschwere Gewitterwolken am Himmel hängen – hier sollte man nicht unnötig verweilen, nichts ist unangenehmer als mit den Geländewagen nach einem Unwetter in dem weglosen Gelände stecken zu bleiben – brechen wir bald auf, was zu Spannungen führt, da wir als zahlungswilligere Fremde eingeschätzt worden waren.

Am Abend, erreichen wir Konso, ein Marktflecken nur eine halbe Tagesreise von Arba Minch entfernt. Konso ist der Hauptort für den gleichnamigen Volksstamm, der in den Hügeln rundherum lebt. Wir fahren in die Berge. Die Häuser und der Aufbau der Dörfer erinnert uns, dass wir uns am Ausgang des „Museums der Völker“ befinden. Hier gibt es Schulen, einen großen Markt, kleine Sanitätsstationen – und die Menschen hier tragen alle wieder eine mehr oder weniger vollständige Bekleidung. Trotzdem ist unser Besuch in dem Dorf in den Bergen spannend. Alle Einwohner sind auf den Beinen „Weiße gucken“. In den kleinen Gehöften ist Leben, hier wird Hirse gestampft, Baumwolle gesponnen und Kinder spielen unbeschwert im gleißenden Sonnenlicht auf der Dorfstraße.

So will ich es in Erinnerung behalten. Dieses Museum der Völker.

In Afrika gibt es keine Grenzen. Nicht einmal zwischen Leben und Tod. (Leopold Senghor)