Einmal im Jahr nur ist Karneval !

In dem Wort Sehnsucht steckt es schon, das kleine Wörtchen „Sucht“. Nun weiß ich nicht ob „Venedig-süchtig“ zu sein gar so schlimm ist, da gibt es sicher schlimmeres, aber es zieht mich immer wieder in diese Stadt. Vielleicht deshalb weil der Serenissima ein wenig das Flair des Vergänglichen, des Morbiden, des Untergangs anhaftet ?

Morgens, wenn einem die Luft kühl und feucht umhüllt und es ganz still ist, nur das Geräusch des Besens eines Straßenkehrers über das Pflaster des Markusplatzes streicht, stehe ich gerne am Ufer der Riva degli Schiavoni und schaue hinüber nach San Giorgio di Maggiore oder Santa Maria della Salute. Zu dieser frühen Stunde beginnt der Zauber von Venedig, wird es zur Kulisse wie in einem Film Fellinis oder zum „Schönsten Ballsaal der Welt“, wie Napoleon gesagt haben soll. Auf dieser Bühne wird alljährlich an den „12 tollen Tagen“, einer Oper von Goldoni gleich, der Carnevale di Venezia gegeben.

Bald schon ist es mit der Ruhe vorbei. Die „Masken“ übernehmen das Regiment, posieren vor dem Hintergrund der sich leise im Wasser der Lagune schaukelnden Gondeln oder in den Arkaden des Palazzo Ducale. Unaufhörlich schwillt der Besucherstrom an, wird zur Flutwelle die durch die Gassen von Venedig schwappt. Wie einst in Babel herrscht eine Sprachverwirrung. Da kann man Cosi fan Tutte schnell für ein Pastagericht und Boccaccio für eine der modernen Kaffee-variationen halten.

Doch ich greife vor. Traditionell beginnt der Carnevale di Venezia am Stefanitag. Das ist der 26. Dezember. Der zweite Weihnachtsfeiertag markiert den Beginn der Fastenzeit. Das Wort Carnevale ist eine Kombination aus „carne“ was im lateinischen Fleisch bedeutet und dem lateinischen Abschiedsgruß „vale“, heißt also so viel wie „Fleisch leb‘ wohl“. Da gewinnt der Ruf der GRÜNEN nach einem Veggieday sofort eine historische Dimension. In den Chroniken von Venedig findet das Karnevalsfest erstmals im Jahr 1094 Erwähnung. Ob die Menschen in jener Zeit wirklich Freude am Verkleiden hatten oder eher froh waren überhaupt ein wärmendes Gewand am Leib zu tragen, bleibt im Dunkel. Sicher ist jedoch das der Karneval in den Zeiten in denen die Pest Venedig heimsuchte, eine erste Blütezeit hatte. Während der Schwarze Tod fast 2/3 der Bevölkerung dahinraffte, feierten die Überlebenden (be)rauschende Feste. Wen wundert’s wenn man sonst nichts zu verlieren hat.

Zu Lebzeiten Giacomo Casanovas im 18. Jahrhundert erreichte der Karneval seine größte Pracht und die Sitten wurden immer lockerer. Die Lust am Verkleiden nahm fast schon groteske Züge an. Die althergebrachten Figuren des venezianischen Narrenspiels sind zwar der Commedia dell‘ arte entliehen, aber auch andere Ursprünge wie zum Beispiel das verarmte Adelige sich beim Betteln an der Straßenecke verkleideten oder Glücksspieler sich zum Schutz vor ihren Gläubigern maskierten gefallen mir sehr.

Mit dem Einmarsch Napoleons in Venedig hatte der Spaß ein Ende. Ein „Vermummungsverbot“ wurde erlassen, konnte sich doch hinter jeder Larve ein venezianischer Anarchist verbergen. Dem „kleinen Korsen“ waren die unterlegenen Venezianer die in ihrer Niederlage noch Karneval feiern wollten wohl höchst suspekt. Nach der Vertreibung und Verbannung Bonapartes kam Venedig als Folge des Wiener Kongresses zu Österreich-Ungarn, aber auch die Herren der KuK-Monarchie waren rechte Spaßbremsen. Die alten Bräuche gerieten mehr und mehr in Vergessenheit, und verfielen wie die Pracht Venedigs.

Ob Federico Fellinis Verfilmung von Casanovas Leben den Anstoß gab, oder ob es nicht eher findige venezianische Kaufleute, Gastronomen und Hoteliers waren, die in den Wintermonaten nach Auslastung für ihre leer stehenden Bettenburgen suchten, mag dahingestellt bleiben. Seit Ende der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts erfährt der Karneval in Venedig eine wahre Renaissance. Das Konzept ist aufgegangen.

…doch jetzt sind es genug der Anekdoten und Anekdötchen rund um den venezianischen Karneval, jetzt muss ich mit meiner Kamera zum „ Il volo dell ‘Angelo“ dem Engelsflug vom Campanile mit dem die heiße Phase der Tollen Tage eingeläutet wird.

So war es stets und wird es bleiben,
das Leben ist ein Narrentreiben,
denn Maske, Clown und Harlekin
steh´n mitten in dem Leben drin!
Bei jedem Mensch dasselbe Bild,
die Maske dient ihm stets als Schild
und selten hat noch wer entdeckt,
was hinter einer Maske steckt.

(Marie Luise Bald)