Land der verlorenen Zeit

Viele Eindrücke verklären sich mit der zeitlichen Distanz zum Ereignis, zumindest geht es mir so. Das kann mir bei Cuba nicht passieren, denn ich bin erst vor wenigen Wochen von dort zurückgekehrt.

Che Guevara sagte: „Seien wir realistisch. Versuchen wir das Unmögliche“

Diesen Versuch will ich wagen und von einem Land berichten, das den täglichen Spagat zwischen „socialismo tropical“ und sprühender Lebensfreude beherrscht.

Wer nach langem Nachtflug von Madrid kommend spät in Havanna eintrifft, ist rechtschaffen müde und sehnt sich nach einem weichen Bett, wie man es zum Beispiel im Hotel Nacional findet. Schon beim Betreten der Halle, weht einem der „Atem der Geschichte“ entgegen. Viele Leinwandgrößen, Politiker und Musiker sind hier abgestiegen. Aber auch düstere Zeiten hat das Nacional gesehen. Nachdem der Mafia der Boden in USA zu heiß wurde, traf man sich 1935 hier mit dem Diktator Batista und einigte sich gegen einen garantierten Betrag von 5 Millionen $ darauf, dass das Glückspielmonopol in die Hände der Mafia überging.

Am nächsten Morgen strahlt die Sonne vom Himmel. Schon gegen 9:00 Uhr, zeigt das Thermometer 24° C. Beim Blick aus dem Fenster erkennt man den Malecón, den Prachtboulevard – zweites Wohnzimmer vieler Habaneros – sowie die Casa de las Américas, vor der Castro ein Fahnenmeer von schwarzen Flaggen mit weißem Stern hat aufziehen lassen und das Plattform für jede Art von Demonstrationen gegen die USA ist.

Wir machen uns auf, um Havanna – die stolze Perle der Karibik, mit ihrem in die Jahre gekommenen, morbiden Flair, aus abgestützten Fassaden, abbröckelndem Putz und abblätternder Farbe, zu erkunden.

Der Malecón ist so früh am Morgen noch leergefegt. Die Kubaner kommen meistens am Abend hier her, um auf der Mauer zu sitzen, einen Drink zu genießen, zu Baden und der Tristesse des Alltags zu entfliehen. An den Häusern, haben 40 Jahre sozialistische Planwirtschaft und viele Hurrikans ihre Spuren hinterlassen. Auch wenn Havanna Weltkulturerbe der UNESCO ist und vieles restauriert wird, halten die Restaurierungsarbeiten nicht Schritt, mit dem stetigen Verfall.

Das Capitolio; dem Capitol in Washington nachempfunden, in Habana Centro ist ein guter Orientierungspunkt für einen Stadtrundgang durch die Stadtteile Centro und Habana Vieja, der Altstadt.

Auf den Stufen des Capitolios gehen mehrere Fotografen ihrem Gewerbe nach. Mit ihrer Kamera obscura, einfachen Lochkameras, versuchen sie Touristen, für einige Pesos zu einem Foto „made in the roaring twenties“ zu überreden. Zumindest kann man sich wiedererkennen auf dem Bild…allerdings nur mit Mühe.

Vom Capitolio aus ist man schnell in der Altstadt. Auf den Balkonen hängt Wäsche zum Trocknen, die Fassaden der Häuser haben bessere Zeiten gesehen. Durch den Parque Central, vorbei am Hotel Inglaterra – in dem Graham Greene logierte und sich Inspiration für „Unser Mann in Havanna“ holte, erreicht man die Calle Obispo, die Shopping-Meile Havannas, die direkt zum zentralen Platz der Plaza de Armas führt.

Exerziert wird hier schon lange nicht mehr. Heute ist Samstag und viele Händler haben ihre Buchstände mit antiquarischen Büchern aufgebaut, zumeist ist es kommunistische „Blut und Boden – Literatur“ die  feilgeboten wird, wenig verlockend für Touristen und schon gar nicht für Einheimische. Buntgekleidete Frauen mit Blumenkörben und überdimensionalen Zigarren bieten sich hier als Fotomodelle an. Die Plaza de Armas ist gesäumt von Kirchen, Museen und Palacios und es lohnt einen oder mehrere Blicke hinter die Kulissen und in die Innenhöfe, besonders heute; – da es hier ruhiger ist. Das Interesse der meisten Anwohner und Besucher ziehen Stelzenläufern eines Straßenzirkus auf sich, der durch die Straßen zieht.

Von hier aus ist es nur ein Steinwurf zur Plaza de la Catedral. In dem Kirchenbau aus dem 18. Jahrhundert sollen lange Zeit die sterblichen Überreste von Christoph Kolumbus aufbewahrt worden sein bevor die Gebeine ihre Odysee durch die Welt antraten und heute sowohl von Spanien als auch der Dominikanischen Republik beansprucht werden.

Prägend für das Stadtbild sind die vielen Oldtimer, die durch die Straßen rollen und die man zeitlich in eine vorsozialistische und sozialistische Periode einteilen kann. Aus der Produktion der sozialistischen Bruderstaaten stammen die Ladas und Moskwitsch, die Kamas, Tatras und IFA’s. Mehr Interesse finden jedoch die Dodge, Ford, Chevy’s und Buicks, die in den 50er Jahren von den Exilanten nach ihrer Flucht zurückgelassen wurden. In mehr oder weniger gutem Erhaltungszustand werden sie als Taxis eingesetzt, diese „Träume aus Blech“ – „Perlen US-amerikanischer Automobilbaukunst“. Überhaupt sind die Habaneros im Bezug auf ihre Fortbewegungsmittel erfindungsreich. Man kann in einem Coco oder mit einem Camello vorwärtskommen. Coco nennt man die Vespa-Roller mit ihrem runden Viberglas-Aufbau in dem man für 2 $ den Malecón hinauf- und hinuntercruisen kann. Die Camellos sind Sattelschlepper mit 2-höckerigen Aufliegern, die als Busersatz durch die Stadt fahren und bis zu 300 Fahrgästen Platz bieten.

Havanna hat viele Gesichter, die sich in den Vororten und Stadtteilen wiederspiegeln eines davon ist das Gesicht von… Ernest Hemingway …kaum ein Name ist so eng mit Havanna verknüpft, wie der des Literatur-Nobelpreisträgers. In Cojimar – einem kleinen Fischerdorf vor den Toren Havannas – hat er gelebt, „der alte Mann und das Meer“, der in Wirklichkeit Gregorio Fuentes hieß. Er starb im Jahr 2002 und hat seinen literarischen Schöpfer um fast ein halbes Jahrhundert überlebt. 104 Jahre ist er alt geworden. Auf die Frage, wie er daß geschafft habe, soll er geantwortet haben: „mit Rum, guten Zigarren und schönen Frauen“. Die Fischerkneipe La Terraza in der Fuentes und Hemingway so manches Glas Rum hinunterspülten gibt es noch, sie ist heute fast ein Wallfahrtsort. Hier ist die Zeit stehen geblieben. Auch in Downtown Havanna gibt es mit der Bar El Floridita und der Bodegita del Medio zwei Pilgerstätten für Bewunderer des großen Literaten. Hier ist es immer überfüllt und überteuert, gleichwohl ist man in dieser Atmosphäre sofort ergriffen und erinnert sich an den alten Mann, der auf seiner Pilar hinausfuhr um mit dem großen Marlin zu ringen.

Im Stadtteil Vedado lohnt der Friedhof Christóbal Colon, mit seinen monumentalen Grabmalen und weißen Marmorstatuen, einen Besuch. Über 800.000 Habaneros haben hier ihre letzte Ruhestatt gefunden; eine Oase des Friedens und der Besinnlichkeit im hektischen Treiben der Großstadt. Unweit des Friedhofs schlägt das politische Herz Havannas, die Plaza de la Revolucion, seit 40 Jahren Aufmarschplatz für die großen Kundgebungen des Castro-Regimes, am 1. Mai und zum Jahrestag der Revolution. Überragt wird der Platz von einem 142 m hohen Obelisken und dem Denkmal für José Martís, des Nationaldichters aus der Zeit des Unabhängigkeitskrieges. Aber wie mit so vielen Dingen im „Land der Freien“ ist das Betreten des Monumentes und das Fotografieren verboten.

Rum und Zigarren…

…gleichsam Synonyme für Cuba und Havanna sind zwar nicht die wichtigsten Wirtschaftsfaktoren der Insel, aber die mit dem größten Genußfaktor. Mitten in Havanna Centro  liegt das frisch renovierte Edeficio Bacardi. Das im Art Déco Stil erbaute Gebäude wird von der weltberühmten Fledermaus geziert. Bacardi-Rum gibt es auf ganz Cuba nicht, denn obgleich die Familie Bacardi anfänglich die Revolutionäre finanziell unterstützte wurde die Fabrik enteignet und verstaatlicht. Bacardi produziert sein Zuckerrohrdestillat heute in Puerto Rico und Fidel benannte die Fabrik kurzerhand in Havana Club um. Das sieben Jahre gereifte Spitzenprodukt des Hauses, kommt durchaus einem guten Cognac oder Whisky gleich.

Zigarrenkultur in Bilder umzusetzen war eines meiner fotografischen Hauptziele dieser Reise, doch ich bin kläglich gescheitert. Wie so vieles in Castros Cuba, ist auch dies verboten. Es gäbe soviel zu erzählen und zu zeigen. Das eine Cohiba Esplendido fast 20 € kostet ist schockierend, aber wer den Aufwand sieht, mit dem diese Kunstwerke hergestellt werden, vermag den hohen Wert zu schätzen.

In Havanna gibt es zahlreiche Zigarrenfabriken, von denen die von Partagas, Corona sowie von Romeo y Julietta die bedeutendesten sind. In traditioneller Handarbeit, werden die großen Marken hergestellt. Die Trocedores, wie man die Zigarrendreher nennt, haben Tabakblätter verschiedener Farben vor sich liegen, welche sie je nach Sorte und Struktur zuschneiden, rollen und in Holzmodeln pressen. Einmal in Form gebracht, krönt das Deckblatt, „die Capa“, am Ende den puren Rauchgenuss. Doch damit ist das Ende des Fertigungsprozesses noch lange nicht erreicht. An einem großen Tisch steht ein Sortierer, hat ein Tableau mit Zigarren vor sich und sortiert nach Farbe. Er unterscheidet gut 30 verschiedene Farbtöne, denn nur Zigarren einer Farbschattierung wandern in eine Kiste. Hier werden auch die kleinsten Unebenheiten und Beschädigungen aussortiert. Dann wird die Bauchbinde angebracht, sie schützt die Finger des Rauchers vor unschönen Nikotinverfärbungen und gibt der Zigarre das Namensetikett. Danach kommen die Zigarren in die Verpackung; – die teuersten in handgemachte Zedernholzkisten oder mit Zedernholzeinlage versehene Aluminiumtubos, es wir etikettiert und banderoliert. Zwei Jahre nach der Ernte ist das Produkt jetzt verkaufsfertig und eine Cohiba Esplendido kostet auch hier noch stolze 15 €.

Wer weiß, dass ein guter Trocedor auch nur den kubanischen Einheitslohn von 15 € pro Monat verdient – also den Gegenwert einer einzigen Zigarre – dafür aber täglich 200 Stück rollen muss, kann sich vorstellen, wie groß die Versuchung ist, sich etwas nebenbei zu verdienen. Der Schwarzmarkt blüht und gedeiht!

Hier beginnt meine kleine Geschichte, die so amüsant ist, dass man sie erzählen muss. Kurz nach dem Verlassen des Hotels werde ich angesprochen…do you want cigar ? very cheap ? Maybe tomorrow! sage ich leichtsinnig und habe dabei den Wiedererkennungswert eines Ausländers nicht bedacht. Am kommenden Tag das gleiche Zeremonial. Mehr aus Neugier und etwas beklommen folge ich dem Herrn durch düstere Hinterhöfe in eine Privatwohnung im 2. Stock eines heruntergekommenen Hauses gegenüber des Capitolio. Doch er ist nicht der Verkäufer, sondern nur der „Anreisser“. Gut 10 Minuten später, kommt völlig außer Atem der Verkäufer, der offensichtlich in der hinter dem Capitolio liegenden Zigarrenfabrik Partagas beschäftigt ist. Er rückt den Küchenschrank etwas von der Wand ab, zieht einen Bierkarton hervor und fragt…what do you want ?   Montechristo ? H. Upmann ? Partagas ? or Cohiba ? Die 25 Stück zu 25 €, ein Schnäppchen! Was ist mit Zollbanderole und Etiketten ? No problem! Was ist mit Hologramm ? No problem! Hier wird alles gefälscht. Sind denn wenigstens die Zigarren echt ? Um dies zu entscheiden, muss man Kenner sein. Schon mancher Kauf auf dem schwarzen Markt hat sich als in ein Deckblatt gewickelte Bananenblätter erwiesen.

Am kommenden Morgen machen wir uns auf den Weg in die Provinz Pinar del Rio und erreichen am späten Nachmittag das…

Vinales Tal

Hier im Tal des Rio Cuyaguateje werden die besten Tabaksorten angebaut. Im sanften Licht der Abendsonne zeichnen sich die Mogotes – Karstkegelfelsen von bis zu 200 m Höhe – ab, die das Tal so einzigartig machen. In der Regenzeit bildet sich wegen des großen Temperaturunterschieds zwischen Tag und Nacht häufig Bodennebel über dem Talkessel, aus dem die Mogotes wie Inseln aus dem Ozean herausragen. Jetzt im Mai, nach der Tabakernte, sind die palmstrohgedeckten Trockenscheunen, die man überall im Tal findet, voll. Die Giebel der Casas del Tobacco sind offen, damit die Luft zwischen den Tabakblätter, die auf Stangen zum Trocknen aufgefädelt sind, gut zirkulieren kann. Den Bauern im Tal geht es vergleichsweise gut, doch gut ist immer noch ärmlich, auch wenn man ein bisschen Gemüse, Obst und Kartoffeln für den eigenen Bedarf anbauen darf.

Bekanntermaßen winkt für die Verunglimpfung der politischen Führer in totalitären Systemen schnell Gefängnis. Als ich bei einer Wanderung im Tal einen Bauern höre, der seine beiden Ochsen Commandante und Lügner ruft, werde ich neugierig. Lazaro hat seine Felder etwas abseits der Autopista und so verirren sich nur selten Fremde hierher. Er grinst, als er mich schwitzend mit der schweren Fotoausrüstung über das frischgepflügte Feld stapfen sieht. Gastfreundlich lädt er mich in seine Hütte ein und ich lerne den Rest der Familie kennen. Lazaro baut Tabak an und seine Scheune ist voll. Jetzt nachdem der Tabak abgeerntet ist, pflügt er um Kartoffeln zu pflanzen. Er schimpft auf die Politik und die verdammten Bonzen. Stell Dir vor sagt er:  „die haben beschlossen das unser alter russischer Kühlschrank zuviel Strom verbraucht und wollen den Kühlschrank nächste Woche abholen lassen. Die sollen nur kommen! Wovon soll ich einen der neuen chinesischen Kühlschränke bezahlen, die sowieso immer kaputt sind ? Bei uns ist doch nichts in Ordnung, von dem was ich der Tabakfabrik verkaufe kann ich weder leben noch sterben, meine Frau ist schwer krank, Medikamente gibt es nicht und dabei soll unser Gesundheitssystem das beste auf dem amerikanischen Kontinent sein. Auch so eine Lüge!“ Nach einem Kaffee verlasse ich Lazaro und seine Familie wieder, nicht ohne reich beschenkt worden zu sein. Neben der Kamerausrüstung schleppe ich jetzt noch gut 2 kg Pomelos.

Ganz hinten im Tal bei dem Dorf Moncada wird die Straße schmaler und endet schließlich ganz, so als ob die Welt hier zu Ende wäre. Von hier aus kann man aufsteigen zum Eingang der Cueva de Santo Tomás. Von dem gigantischen Höhlensystem, das den Höhenzug durchzieht sind bisher nur 50 km erforscht. Ein Teil der Stollen ist begehbar. Deutsche Vorstellungen von Absturzsicherung kann man getrost am Höhleneingang abgeben, ganz ungefährlich ist diese Exkursion nicht.

Am Nachmittag schlendere ich noch ein bisschen durch Vinales, ein nettes kleines Provinzstädtchen mit einem kleinen Kirchlein im spanischen Kolonialstil, einer kleinen Kunstgalerie und einem Stadion, das bessere Tage gesehen hat, in dem die Altherrenmannschaft dem Nationalsport Baseball frönt, ein Spiel, dessen Reiz wir Europäer wohl nie richtig verstehen werden.

Am nächsten Tag durchqueren wir die Provinz Pinar del Rio in Richtung Cienfuegos. Für den Nachmittag haben wir uns auf der Vega Robaina angemeldet. Hier werden seit 1845 die besten Tabake für Deckblätter der edelsten Zigarren angebaut. Man hatte uns gesagt, dass Besucher hier unerwünscht seien und so lassen wir unseren Wagen an einem Abzweig hinter Pinar del Rio stehen und gehen zu Fuß. Als uns aus einer Staubwolke auf der Schotterstraße jedoch ein Bus entgegenkommt in dem offenkundig Touristen sitzen, schütteln wir den Staub aus den Kleidern und sehen uns ungläubig an.

Der Patriarch des Robaina-Clans Don Alejandro, mittlerweile 86 Jahre alt, heißt uns herzlich willkommen und lädt uns zu Kaffee, Rum und der obligatorischen Zigarre ein. Don Alejandro ist der Botschafter der „Havanna“ schlechthin. Er hat mit den Schönen, Reichen und Mächtigen dieser Welt an einem Tisch gesessen und auf seine zurückhaltende, bedächtige Art Werbung für „sein“ Produkt betrieben. Kaum ein Land der Erde, das er nicht besucht hätte und trotzdem lebt er hier auf seiner Vega mit nur unwesentlich mehr Komfort als der Durchschnittskubaner. Stolz zeigt er sein Fotoalbum, das ihn an der Seite vieler Politiker und Filmstars zeigt. Nach einigen Stunden, in denen wir viel über Aussaat, Kultivierung, Trocknung und Fermentierung des Tabaks gelernt haben, verlassen wir Don Alejandro, der auf der Veranda in seinem Schaukelstuhl sitzt und uns noch lange nachschaut.

Beim letzten Abendlicht erreichen wir

Cienfuegos

eine der saubersten Städte Kubas. Die Plaza Mayor bietet ein geschlossenes architektonisches Bild neoklassizistischer Bauten. Palacio de Gobierno, Catedral de Purisima Concepción und das wunderschöne Tomás-Terry-Theater sind die Glanzpunkte.

Etwas außerhalb an der Avenida 5 de Septiembre liegt der kleine Friedhof Necrópolis Tomás Acea. Es ist ganz merkwürdig, mir geht es zumindest so, in der Heimat ist man froh, wenn man den Friedhof meiden kann. In fernen Ländern üben Friedhöfe auf mich eine ganz besondere Anziehungskraftaus, sie ein Stück steingewordener, unverfälschbarer Geschichte. Wer war diese Maria Ortiz wohl, die im Alter von 29 Jahren im Jahr 1960 starb und hier Ihre letzte Ruhestätte fand ? Eine Bauersfrau ? Die Braut eines Guerillieros, eines Helden der Revolution ? Wir werden es nicht erfahren. Nur der Engel aus weißem Marmor, der seine Hände flehend in den blauen Himmel streckt und über das Grab wacht, wird die Wahrheit über Maria Ortiz kennen.

Verlässt man Cienfuegos auf der Straße in Richtung Trinidad, gelangt man nach wenigen Kilometern zum Jardin Botánico de la Soledad. Dieser riesige botanische Garten, die Gründung eines Zuckerbarons aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts, ist Heimat von mehr als 1900 Pflanzen aus aller Welt. Mehr als 45 Palmenarten und über 20 Bambussorten findet man hier. Immerhin war der Garten so bedeutend, dass die biologische Fakultät der Universität Harvard fast 20 Jahre seine Betreuung übernahm. Von hier nehmen wir die Straße unter die Räder, überqueren die sanft geschwungenen Hügelketten der Sierra del Escambray und erreichen abends…

Santa Clara …oder die Revolution entlässt Ihre Kinder !

Von weitem ist sie schon sichtbar, die überdimensionale Statue des Ernesto Guevara, der hier seine letzte Ruhestatt gefunden hat. Was macht diesen Mann, den alle Welt nur „Che“ nannte, so einzigartig ?

Wirklich verstehen kann man den Mythos Che Guevara wohl nie, er war ein Idealist und starb jung. Zusammengenommen ist dies wohl ein Teil der Wahrheit. Che wurde in Argentinien geboren, verlebte dort seine Jugend und studierte Medizin. Er reiste mit dem Motorrad quer durch Südamerika und sah die große Armut und Not der Menschen auf diesem Kontinent. Diese Eindrücke weckten seinen Widerstand und Kampfgeist gegen Unterdrückung und Armut. Sein Credo

„Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft hat schon verloren“. 

bestimmt sein ganzes Leben. In Mexiko trifft er 1954 auf Fidel Castro und seine Mitstreiter, die nach einem Putsch, Haft und Begnadigung dort im Exil leben und einen weiteren Umsturzversuch planen. Im Dezember 1956 landen 82 Mann mit der vollkommen überladenen Yacht Granma im Süden Cubas und werden schon von Regierungstruppen erwartet. Nur 12 Revolutionäre überleben die erste Schlacht, gehen in die Berge der Sierra Maestra und werben neue Anhänger für den Guerillakampf. Unter Ihnen sind Fidel, sein Bruder Raul und Che. Der Arzt Che Guevara errichtet in den Bergen Feldlazarette und Schulen, so dass Bauern und Landarbeiter erstmalig medizinische Versorgung und Bildung erfahren. Die Bewegung erhält Zulauf. Die 30.000 Mann starke Armee des Batista-Regimes kann die Bewegung nicht mehr stoppen. 1959 übernimmt Fidel die Macht, er verstaatlicht viele Unternehmen, darunter auch viele US-Unternehmen, was letztlich Auslöser für den Invasionsversuch der Exilkubaner in der Bahia de Cochinos, zahlreiche Anschläge auf das Leben Castros und dessen Kollisionskurs zu den Vereinigten Staaten ist.

Wer einen so mächtigen Feind hat, braucht starke Freunde. So lehnt sich Fidel mit seiner ursprünglich sozialreformerischen Bewegung an die Sowjetunion an und treibt sein Land in den Kommunismus. Der Versuch, mit Mittelstreckenraketen, Erstschlagswaffen auf Cuba zu stationieren, bringt die Welt an den Rand eines 3. Weltkrieges. Che Guevara entfernt sich immer mehr von Castro, räumlich und ideologisch. Er versucht die Revolution in die Welt hinauszutragen, hat aber für Castros Schmusekurs mit Chrustschow nichts übrig. 1967 muss Che seinen Umsturzversuch in Bolivien mit dem Leben bezahlen. Seine sterblichen Überreste kommen erst 1997 nach Cuba und werden dort unter großer Anteilnahme beigesetzt.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, dem Ende von kaltem Krieg, Warschauer Pakt und COMECON, sieht das Ergebnis der Revolution heute so aus: Cuba hat die geringste Analphabetenquote auf dem amerikanischen Kontinent, die Menschen sind gut ausgebildet und der beste Exportartikel des Landes. Sie arbeiten in ganz Südamerika, als Ärzte oder Ingenieure. Die medizinische Versorgung ist gut. Doch die Schattenseiten überwiegen. Die Wirtschaft des Landes liegt am Boden, das Durchschnittseinkommen der Kubaner liegt bei 15,– € pro Monat. Haupteinnahmequelle des Staates sind die Überweisungen der Exilkubaner in die Heimat, von denen die Regierung mit 50% besteuert. Mißmanagement und Korruption sind an der Tagesordnung. Grundnahrungsmittel, wie Mehl, Eier, Öl, Zucker sind rationiert und nur über das verhasste Lebensmittelbüchlein „Libreta“ zu bekommen. Nur wer auf dem Schwarzmarkt nebenbei etwas verdient, kommt in den Besitz harter Währung, mit der man die notwendigsten Dinge des täglichen Lebens kaufen kann.

In einer seiner oft stunden lang währenden Reden hat Fidel gesagt…“ich habe versucht, die Welt zu verändern… aber es ist eine Illusion“. Seine Illusionen bekommt sein Volk tagtäglich zu spüren und ist völlig desillusioniert.

Wir verlassen Santa Clara und machen uns auf den Weg nach Trinidad. Am Vorabend des 1. Mai treffen wir dort ein. Am kommenden Morgen vereinigen sich nicht die Proletarier aller Länder, aber die meisten „Proletarier“ aus Trinidad ziehen wie beim Karnevalsumzug zur Plaza de la Revolucion. Gut 20.000 Menschen mögen wohl auf den Beinen sein. Während der „Schreihals“ auf der Tribüne bei mindestens jeder dritten Zugnummer den großen Führer Fidel Castro hochleben lässt, machen die Kubaner das Beste aus der Sache. Der Rum fließt schon am frühen Morgen durch die Kehlen und die Betriebs-Musikgruppen fallen schnell in den Salsa-Rhythmus. So wird auch der höchste Feiertag der Kommunisten zu einem Ausdruck purer Lebensfreude; – die kann man diesen Menschen nicht nehmen!

Trinidad ist so ein bisschen wie Rotenburg ob der Tauber auf kubanisch. Die Postkartenansichten der Kolonialarchitektur, die kleinen Kirchen und Kapellen, die Plaza Mayor und die Palacios der Zuckerbarone sind die Schokoladenseite Cubas. Tagelang kann man durch die kopfsteingepflasterten Gassen schlendern und immer wieder Neues entdecken. Die Steine die den Straßenbelag bilden haben eine weite Reise hinter sich und sind gleichsam Bindeglied zur alten Welt. Segelschiffe, die nach Trinidad kamen um hier Zucker zu laden, brachten die Steine als Ballast über den Atlantik. Nett anzusehen sind die vielen in Pastellfarben gestrichenen Häuschen, hinter und vor deren obligatorischen Fenstergittern, sich Hausfrauen mit Lockenwicklern im Haar oder zahnlose Rentner zu einem Plausch mit dem Nachbarn treffen. Eine gewisse Öffnung, zum Tourismus, ist nicht zu übersehen. Es gibt sehr viele, saubere und günstige Privatunterkünfte, die sogenannten Casa Particulares und „halblegale Restaurants“, die man hier Paladares nennt, in denen man preiswert und gut essen kann. Viele Künstler, Maler und Bildhauer haben sich hier niedergelassen. Ihre Arbeiten reichen von kitschigen, knallbunten Che Guevara Portraits bis hin zu feinsten Darstellungen erster Schule. Die Preise sind moderat. Abends lohnt ein Besuch der Casa de la Musica, direkt neben der Kirche, in der Casa de la Trova oder einer der vielen anderen Kneipen in denen Musik gemacht wird. Seit die alten Herren Ibrahim Ferrer, Compay Segundo und Ruben Gonzáles kubanische Rhythmen in Wim Wenders „Buena Vista Social Club“ hoffähig machten, gehen uns diese Klänge nicht mehr aus dem Ohr, bzw. direkt ins Herz.

Am Kirchturm der Iglesia Parroquial de la Santisima Trinidad ist das Zifferblatt in der Mitte durchgebrochen und vom Turm gestürzt. – Ein Zeichen ! Cuba ist das Land der verlorenen Zeit.

„Es gibt Diebe, die nicht bestraft werden und einem doch das kostbarste stehlen: die Zeit“ (Napoleon)