Weihrauchland im Wandel

dpa  Hamburg / Sana’a    28.12.2005 – Fünfköpfige deutsche Familie in der Provinz Shabwa vermutlich Opfer einer Entführung

dpa Hamburg / Sana’a     28.12.2005 – Auswärtiges Amt bestätigt, dass es sich bei dem im Jemen mit seiner Familie entführten Deutschen um den ehemaligen Staatssekretär und Leiter des Kriseninterventionszentrums, Jürgen Chrobog, handelt.

Yemen Observer  Sana’a  29.12.2005 – Ein Sprecher des jemenitischen Reiseveranstalters Abu Taleb Group gibt bekannt, dass man mit den Entführten telefoniert habe. Sie seien Opfer einer Fehde von seit Generationen verfeindeten Stämmen. Fünf derzeit inhaftierte Stammesmitglieder sollen freigepresst werden.

dpa Hamburg / Sana’a      31.12.2005 – Das Auswärtige Amt bestätigt, das Jürgen Chrobog und seine Familie freigelassen wurden und sich in der Obhut jemenitischer Regierungsvertreter befinden.

………am 21.12. bin ich aus dem Jemen zurückgekommen, ich war in Shabwa und unsere Reise war von Abu Taleb organisiert; ein Gefühl der Unsicherheit hatte ich während der Reise nie. Liest man nun diese Schlagzeilen, wird man nachdenklich.

Was ist also der Jemen ? Weihrauchland im Wandel ?  Wandel sicherlich, wenn man dies auf Errungenschaften der Zivilisation und des technischen Fortschritts bezieht, aber unter der Oberfläche sind immer noch die überlieferten Strukturen des Stammeswesens zu erkennen. Ein Gouveneur einer Provinz hat nichts zu sagen, wohl aber der örtliche Scheich.

Aufgebrochen waren wir in Sana’a, jener Perle des Orients, deren Altstadt heute zum Weltkulturerbe der UNESCO zählt. Die Lehmhäuser, mit bis zu 8 Stockwerken, sehen aus wie „Zuckerbäckerstil“; – die bunten in Gipsstuck gelegten Butzenscheiben strahlen nachts in allen Farben. Hinter dem Bab-el-Jemen – jenem „Tor zum Jemen“  – breitet sich der Souk aus, ein Markt mit allen Wohlgerüchen Arabiens, wie man ihn auch in Kairo oder Damaskus heute nicht mehr findet. Hier gibt es alles. Millionen von Dschambija’s – den Krummdolch, den jeder Jemenite als Statussymbol seiner Männlichkeit trägt – mit den dazugehörigen, goldgewirkten Gürteln; Dattelhändler, die Ihre süßen Früchte anpreisen; Tabak- und Tuchhändler; Silberwaren und nicht zuletzt der riesige Gewürzmarkt in dem Pfeffer, Ingwer, Safran und Kardamom Ihren Duft verströmen.

All das lassen wir hinter uns, und machen uns auf den Weg nach Marib. Hier soll der Legende nach Bilquis, die sagenumwobene Königin von Saba, residiert haben, jene Herrscherin, die so viele Länder rund um das Arabische Meer für sich beanspruchen. Und wie steht es in der Sure 27 des Koran…

„Und der Wiedehopf sprach zu Salomo: „Ich habe ein Land gesehen, welches Du noch nicht gesehen hast. Ich komme aus dem Saba-Land mit sicherer Kunde. Ich fand dort eine Frau, welche regiert…“

Ob nun Königin Bilquis tatsächlich hier lustwandelte oder nicht, ist nicht belegt., Das alte Marib ist heute eine Geisterstadt aus Lehmhausruinen. Unweit von hier ragen die 5 Säulen des Almaqah-Tempels von Bar’an in den Himmel und es ist nicht weit bis zu den Ausgrabungen des „as sad al gadiem“. Dieser antike Staudamm, staute das Wasser des Wadi Adhana auf einer Länge von 680 m. Sein nördlicher und südlicher Eckbau, die aus dem 6. vorchristlichen Jahrhundert stammen, sind wieder rekonstruiert. 

Für unseren Weg ins Wadi Hadramaut wählen wir nicht die neue, bequeme Teerstraße, sondern den Weg durch die Wüste, die Karawanenroute der Weihrauchstraße, die in alter Zeit Dhofar (im heutigen Oman) mit Marib verband. Um 3 Uhr morgens brechen wir auf. Es ist kalt. Rechter Hand sehen wir bei Safir die Gasfackeln der Ölbohranlagen. Hier treffen wir unseren Begleitschutz, einen Beduinen, der uns im Auftrag seines Scheikhs, gegen ein kleines Handgeld von 200 US $ beschützt. Seine Ortskenntnis ist ihr Geld wert, denn der Wüstensand birgt noch zahlreiche Minen aus dem Bürgerkrieg von 1994 und darüber hinaus soll er uns vor Überfällen bewahren. Dass dies nicht ganz unnötig ist, wird sich Wochen später herausstellen. Unser erstes Etappenziel ist Shabwa.

Dass es im Jemen so hohe und vor allem „saubere“ Sanddünen gibt, hatte ich nicht erwartet; die würde man eher im angrenzenden Saudi Arabien oder Oman vermuten. Die Sicheldünen ragen bis 200 m auf, und es gibt nichts schöneres als die immer neuen Licht- und Schattenspiele der Morgensonne auf den Sandrippeln. Um die Mittagszeit erreichen wir die Ruinen von Shabwa. Zwischen dem 4. Jahrhundert v. Chr. und 220 n. Chr. war Shabwa die Hauptstadt des Hadramaut. Schon der römische Geschichtsschreiber Plinius fand diese  „Weihrauchstadt“ der Erwähnung wert. Bei Sonnenuntergang nähern wir uns dem Wadi Hadramaut und kommen gerade rechtzeitig als die letzten Sonnenstrahlen die Häuser von Schibam in ein unwirkliches Rot tauchen.

Die Bewohner des Tales, die Hadramiten, leiten Ihren Namen von Hazarmawet ab, welcher, glaubt man der Genesis, in sechster Linie von Noah abstammt. Doch es gibt viele Deutungsmöglichkeiten. So steht das arabische Wort „maut“ für Tod; damit wäre das Hadramaut das Tal des Todes. Mir gefällt die Herleitung vom arabischen „hadira“, was für Garten steht, denn letztendlich ist das Grün des Hadramaut, ein letztes Bollwerk, das  sich gegen die Wüste stemmt.

Auch wenn Tarim über viele Stadtpaläste verfügt, der Sultanspalast von Sajuhn ein imposantes Bauwerk ist, ist für mich Shibam die „Traumstadt“ des Hadramaut. Der deutsche Musikwissenschaftler und Orientreisende Hans Helfritz, der in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts nach Shibam kam, nannte es das „Chicago der Wüste“. Die Stadt selbst ist ungefähr 1700 Jahre alt. Die bis zu 9 Stockwerken aufragenden, aus Lehmziegeln erbauten Hochhäuser, haben ein Alter von 400 – 500 Jahren. Die Stadt zählt heute rund 6000 Einwohner. In die engen Gassen fällt nur um die Mittagsstunde Sonnenlicht. Das Leben scheint zu verrinnen wie in einer Sanduhr. Wer sich der Anstrengung unterzieht, den Hausberg zu besteigen, der sich hinter der Neustadt erhebt, hat einen Blick auf Shibam, den er sein Leben lang nicht vergisst.

Schwierig für den Fotografen ist der „Umgang mit Frauen“; nahezu unmöglich, auch wenn die tiefverschleierten, schwarzgewandeten Wesen mit Ihren turmartigen Sonnenhüten noch so fotogen erscheinen. Um so größer ist mein Erstaunen, als ich im Wadi Do’an in der Nähe von Hadscharain eine junge Frau beim Heuschneiden treffe, die sich mit Einwilligung Ihres Mannes bereitwillig ablichten lässt.

Vom Hadramaut kommend, durchquert man das Wadi Do’an mit seinen wunderschönen Dörfern. Hadscharain, Maschab, Sief und Bokschan, schmiegen sich an die schroffen Felsen. Jedes dieser Dörfer lockt den Fotografen zum Verweilen, doch in halsbrecherischer Fahrt winden wir uns die Serpentinen hinauf auf den Dschol, eine karstige Hochebene, und kommen nach langer Fahrt nach Mukalla, der „Weißen Stadt am Meer“.    

In Mukalla ist es heiß (am 4. Advent), das Thermometer zeigt 38° C im Schatten. Die Stadtansicht, mit den weißen Häusern entlang der weit ins Meer ragenden Mole, liegt wunderschön im ersten Morgenlicht. Der Hafen El Khalf ist der wichtigste Umschlagplatz für Güter ins Hadramaut, und neben Aden der einzige Tiefseehafen. Bereits auf den ptolomäischen Landkarten des 2. Jahrhunderts ist „Macalla“ verzeichnet. Vom alten Glanz, ist bei näherem betrachten, wenig geblieben. Hinter den Kulissen ist Mukalla, eine moderne, arabische Stadt, die ganz Handelsplatz ist. Wenn sich die Sonne neigt, beginnt in den Gassen der Altstadt der „Suk al hariem“ (der Frauenmarkt), auf dem von fliegenden Händlern der täglich Krims-Krams angeboten wird.

Wir verlassen den Süden und fliegen zurück nach Sana’a, von wo wir in den nächsten Tagen nach Norden aufbrechen wollen. Nur 45 Minuten von Sana’a entfernt liegt im Wadi Dahr der „Palast auf dem Felsen“, die Sommerresidenz eines alten Imam. Aufgrund seiner solitären Lage ist es sicher das meistfotografierte Gebäude im Jemen. Doch alle Bilder in Büchern und Hochglanzmagazinen sind alt, ich finde erst nach langer Suche einen guten Durchblick und Aussicht auf das imposante Gebäude. Bei allem Guten, was die UNESCO zum Erhalt der unwiederbringlichen Architektur im Jemen leistet, sollte man vielleicht auch darauf achten, dass man nicht alles verbaut, dass Stromkabel auch unter die Erde verlegt werden können, und dass man etwas zur Müllbeseitigung tun muss. Die Fahrt führt uns weiter auf einer atemberaubenden Hochgebirgsstraße auf Höhen über 3000 m. Immer wieder halten wir an; – der grandiose Ausblick auf Felsennester hoch oben in den Bergen oder auch auf Bayt’s (das sind Ansiedlungen einer Familie oder eines Clans) in den Schluchten unter uns, sind die Bilder, welche ich mir vom Jemen erwartet habe. Wir machen Rast in Kaukaban, Thulla, Amran, Kuhlan oder Hajjah und werden als stille Beobachter (oder ist der Fotograf eher ein Störenfried ?) kurze Zeit ein Teil des Dorflebens. Das Fremde im Ort sind, spricht sich immer schnell herum. Auch wenn diese Region aufgrund Ihrer Nähe zur Hauptstadt von Touristen eher frequentiert wird, bleiben diese doch selten länger, sie sind für die Bevölkerung willkommener Gesprächsstoff. Die Impressionen die im Gedächtnis haften bleiben, sind alte Männer, die in der Moschee ihr Gebet verrichten oder im Schatten der Bäume sitzen und den Weltenlauf diskutieren, sowie die Kinder, die spielend einen Reifen vor sich hertreiben und die Frauen, deren Blick hinter dem Schleier oder dem Vorhang eines Fensters hervorhuscht und gleich wieder verschwindet.

Nach Al Hudaydah und Bayt al Faqih wollen wir weiter, um „Markt“ zu fotografieren (der Suk von Sana’a und Mukalla sind noch nicht genug). Al Hudaydah liegt am Roten Meer und ist bekannt für seinen Fischmarkt. Am frühen Morgen sind die Fischer zurück. Die bunten Boote, die an die alten Dhaus erinnern, schaukeln in der leichten Dünnung, der Fang wird entladen und sofort verkauft. Haie, Schwertfische, Rochen, Doraden, Schalen- und Krustentiere finden hier ihre Abnehmer. Während es im Jemen sonst eher bedächtig zugeht, pulsiert hier das Leben. Hier sind Boys mit Schubkarren voll Stangeneis unterwegs, die Einkäufer von Garküchen, Restaurants und Hotels suchen hier aus und ich mittendrin.

Wir nehmen die Straße nach Süden und erreichen den Marktflecken Bayt al Faqih. Hier ist Freitags Wochenmarkt. Das dichte Treiben auf dem Marktplatz (der die ganze Stadt einzunehmen scheint) ist unbeschreiblich. Unmengen von Ziegen stehen zum Verkauf; Hirsestroh, Grünfutter, Getreide, Wassermelonen, Gemüse, Datteln, Flechtwerk, Haushaltswaren, Tischler- und Töpferwaren werden angeboten. In großen Körben werden Baumwollsamen abgewogen; hier gibt es Händler, die Wasserpfeifen und Weihrauch verkaufen und Garküchen, wo sich Hähnchen am Spieß drehen oder Gemüsepfannkuchen in Fett gebacken werden. Männer in weißen Gewändern und den typischen Strohhüten, der Tihama, und unverschleierte Frauen in bunten Kleidern sind auf dem Suk zu sehen. Es ist ein Tag wie kein anderer.

Von Bayt al Faqih bis nach Taiz ist es noch ein langer Weg. Taiz ist die drittgrößte Stadt des Landes. Die Festung Kairo auf dem Dschebel Sabir ist ein idealer Punkt um sich einen  Überblick zu verschaffen. Der wichtigste Besuchspunkt in Taiz ist jedoch die Aschrafija-Moschee, sie wurde 1396 während der Regentschaft des Rassuliden-Sultan Aschraf Ismail erbaut. Mit den weißen Ziegelsteinminaretten und der großen Kuppel, ist sie das Wahrzeichen der Stadt. Wenn man den richtigen Standpunkt findet, hat man zwischen den Minaretten hindurch einen unvergleichlichen Blick auf die Stadt. Auf dem gegen-überliegenden Hügel spiegeln sich in der Abendsonne die Panoramafenster des Sofitel, das absolute Luxushotel im Jemen, in Traumlage. Wir sind die einzigen Gäste in dieser Nobelherberge und entspannen auf orientalische Art bei einem guten Essen. Als wir in Taiz aufbrechen ist die Sonne verschwunden und es herrscht dichter Nebel.

Nur kurz lugt die Sonne durch die Wolkendecke, und wir verlassen genau in diesem Moment die Hauptstraße und biegen nach Al Janad ab; ein kleiner Ort, der die älteste Moschee des Jemen beheimatet. Hierher verirren sich nur wenige ausländische Besucher. So ist das Interesse von Jung und Alt an den fremden Besuchern groß. Die Moschee ist ohne Zweifel sehenswert, durch den Iwan des Haupttores wird das Minarett eingerahmt und die Mauerzinnen werfen Schatten auf das Pflaster des Innenhofes. In meiner Erinnerung wird Al Janad bleiben, als Ort, in welchem wir den Kindern etwas Freude bescheren konnten und umgekehrt viele schöne Kinderbilder mit nach Hause nehmen. Als wir den Al Janad verlassen, schließt sich der Nebel wieder hinter uns und es ist so, als ob wir nie dort gewesen wären.

Auf unserem Weg nach Sana’a machen wir Halt in Dschibbla, das wegen seiner einzigartigen Lage zu den schönsten Städten im Jemen zählt. Die Altstadt wird geprägt von den Minaretten der zahlreichen Moscheen, deren imposanteste die Arwa bint Ahmad-Moschee ist. Arwa, die Tochter des Sulayhiden-Herrschers Ahmad, herrschte vom Jahr 1099 an als Königin, sie war eine beliebte Regentin und ist den Jemeniten noch heute unvergessen. Im westlichen Teil der Gebetshalle ist das Grab der Königin. Mit dem Ruf des Muezzin zum Abendgebet erreichen wir Sana’a. Am Ende einer Reise sucht man immer nach einem Fazit oder den „famous last words“. Wenn ich die Bilder dieser Reise betrachte, denke ich, dass ich mich bemüht habe, den Jemen von seiner schönen Seite zu zeigen. Schließen möchte ich daher mit einer arabischen Weisheit:

„Nicht jeder, der sich bemüht, kann eine Gazelle erjagen,doch wer die Gazelle erjagt,der hat sich bemüht !“